Newsletter #14 – Herr Burg

Guten Morgen, liebe Koalas.

So begannen Ende letzter Woche meine Tage. Ich war im Januar als Vertretungslehrer an einer Montessori-Grundschule in Düsseldorf tätig, habe viel Deutsch als Zielsprache unterrichtet, ein bisschen Kunst und schließlich einige Vormittage die Freiarbeit in der Koala-Klasse geleitet.

In den gut drei Wochen, die ich an der Schule war, hieß ich Herr Burg, Herr Burkat, Herr Glatzkopf („Grundschüler:innen sind noch unschuldig“, haben sie gesagt, „die sind nett“, haben sie gesagt), Ge Burtstag (da haben sich einige Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch direkt zwei Wörter auf einen Streich gemerkt) und manchmal auch Herr Burkhard, letzteres hauptsächlich im Lehrer:innenzimmer.

Dass ich ein passabler Lehrer sein könnte, dachte ich schon immer, jetzt wollte ich prüfen, ob mein Selbstbild der Realität standhalten konnte. Außerdem war vereinbart, dass mein Vertrag ab Februar in Teilzeit verlängert werden würde, und ich dachte: Geil, halb Lehrer und halb Künstler, das klingt gut. Am Ende brauchte die Schule doch etwas anderes, nämlich einen Vertretungslehrer und Springer in Vollzeit, das konnte und wollte ich als Berufseinsteiger nicht leisten, also wurde der Vertrag doch nicht verlängert. Ich war wirklich traurig.

Als ich am Montag meine letzte Stunde hielt (Fahrradführerschein für die Viertklässler:innen, wir haben eine Straßenkreuzung aus Stühlen gebaut und die Vorfahrtsregeln geübt), sagte eine Schülerin: „Sie dürfen nicht gehen!“ Eine andere kam schmollend in den Raum und sprach kein Wort mit mir. In dem Moment verstand ich, wie das Schul-, Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland überhaupt noch laufen kann. Weil Erzieher:innen, Lehrer:innen, Ärzt:innen, Pfleger:innen und Co. das Beste für die Kinder oder Patient:innen im Blick haben, und das Beste für Kinder ist, zumindest in den meisten Phasen vor 12 Jahren: Bindung. Dann erst Bildung. Bindung vor Bildung. Guter Slogan auch. Und dann übernimmt man natürlich noch die Stunde, damit kein Unterricht ausfällt, und bleibt nachmittags da, und führt unzählige ergebnislose Elterngespräche und übernimmt die unzähligen Nachtschichten und Dienste, obwohl man selbst total drüber ist.

Die Prüfung habe ich bestanden: Ich bin ein passabler Lehrer, wenn man den Kolleg:innen und den Rückmeldungen der meisten Kinder außer ?($§“&$) und )/$“!&!?+ glauben darf, bin ich sogar ein ziemlich guter Lehrer. „Du bist den Kindern zugewandt, das merkt man“, sagte eine Kollegin. Klar, Schule ist ja nicht für die Eltern da, auch wenn fast alle das mittlerweile glauben. Bindung vor Bildung.


Die nächsten Auftritte:

03.03. Moderation des U-20-Slams im zakk in Düsseldorf
09.03. Moderation des Poetry Slams in der Kulturfabrik in Lindenberg
12.04. Auftritt beim Best of Poetry Slam im Ernst Deutsch-Theater in Hamburg
17.04. Zweite Ausgabe der neuen Literaturshow ABEND MIT GOLDRAND im zakk in Düsseldorf
23.05. Moderation des AÜW kultSlams in der kultBOX in Kempten
27.05. Auftritt auf der Bühne des zakk beim Bücherbummel in Düsseldorf
04.06. Auftritt beim Jazz-Slam im zakk in Düsseldorf
27.06. Dritte Ausgabe von ABEND MIT GOLDRAND im zakk in Düsseldorf
… und vermutlich einige spontane Frühjahrsauftritte. Auf meiner Website gibt es immer eine aktuelle Liste.


Kunst, die mir in letzter Zeit Spaß gemacht hat:

Bücher:

– „Auf See“ von Theresia Enzensberger, herrlich dystopisch, stark und gleichzeitig leicht erzählt; gibt einen Grund, warum das Buch auf der Longlist der Leipziger Buchmesse stand

– „Leiden Cetraal“, der neue Roman von Benedikt Feiten, dessen Hubsi Dax in meinem Leben Kultstatus hat; in Benes drittem Roman merkt man eine krasse schriftstellerische Reife und ich bin gespannt darauf, wie es bei ihm weitergeht

– „Heaven“ von Mieko Kamakami, erst letztes Jahr entdeckt, sehr intensiv, sehr grafisch, aber nicht so sehr, dass man es nicht lesen möchte; zwei Außenseiter freunden sich an und fragen sich, was sie verbindet, außer, dass sie beide gemobbt werden

– „To Be a Man“, die Essaysammlung von Nicole Krauss, die einfach so gut schreibt, dass ich meistens sprachlos bin, manchmal anerkennend murmle, manchmal das Buch weglegen muss – aber ich liebe auch einfach Autofiktion

Musik:

– „Work“ von Laleh war mein Morgentanzlied im Januar

– Ezra Furmans neues Album „All Of Us Flames“ ist jenseits der Beschreibbarkeit, ich habe es so oft gehört, ich liebe es vom eindringlichen „Train Comes Through“ und „Throne“ bis zum unwahrscheinlich guten und zarten „Come Close“; sie ist kein Geheimtipp mehr seit bei Sex Education so viel von ihrer Musik lief, aber halleluja, ist das eine Künstlerin!

– Das Album „This Is How We Get Better“ von The Narcissist Cookbook hat mich im August und September begleitet; sehr Lyrics-lastig, sehr roh, manchmal drüber, aber sehr ehrlich und nah – und auch seine 10-minütigen YouTube-Specials sind zu empfehlen

Meine:

– Abend mit Goldrand. Eine Show, die ich mit Aylin Celik, Bernard Hoffmeister und dem unvermeidbaren Frank Klötgen im zakk in Düsseldorf mache. Slam und Literatur und Musik und Stadtgeschichte. Taugt!

– Mein neuer Text namens „Unmännlich die Augen öffnen“, in dem es um Meditation und Gesundheitsvorsorge geht. Kurz vor Silvester geschrieben, an Freund:innen getestet und für sehr gut befunden, nach dem Auftritt in Hamburg im April gibt es ihn dann auch im Internet.

– Meine Website. Ich habe gerade im Archiv gestöbert und eine Stunde lang großen Spaß gehabt. Da kann man so viel entdecken, und mit all dem Corona und keine Auftritte und was will ich für nen Job machen und wo stehe ich künstlerisch, vergesse ich manchmal, was ich alles schon gemacht habe – viel nämlich, und das macht mich sehr glücklich. (Im Archiv gibt es auch alle bisherigen Newsletter.)


Special Treat des Monats:
(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)


Eine Klasse hatte ich, da war ich schlichtweg überfordert. Statt der zwei oder drei Kinder, die dazwischenhauen, keinen Bock haben, andere ablenken, keine Impulskontrolle whatsoever haben, und die man aber meist moderieren kann, gab es in dieser Klasse zehn oder elf. Es war ein reines Löschen, sobald ich zwei in die Schranken gewiesen hatte, fingen vier andere an, es war wie beim whac-a-mole, nur ohne whacking, alle Maulwürfe mussten verbal in die Löcher zurückgeschickt werden. Die Klassenlehrerin beruhigte mich damit, dass das bei allen außer ihr so abgehe, ihre Kollegin sagte: „Andere arbeiten als Apotheker oder Fernfahrerinnen, es könnte auch Schlimmer sein.“ In dem Moment dachte ich: Oder Künstler. Ich könnte halt auch Künstler sein.

Und das bin ich jetzt wieder. Das bin ich immer. Aber nun erst mal wieder in Vollzeit, was auch immer das bei Künstler:innen bedeutet. Ich werde ein bisschen auftreten und ein bisschen schreiben und ein bisschen ausschlafen und reinspüren, ob ich mich auf die nächste Stelle als Grundschullehrer bewerben möchte, und wann. Bei den Koalas hat Herr Burg sich jedenfalls sehr wohl gefühlt.

Ich hoffe, dir geht es gut und dass du gut ins neue Jahr gestartet bist.

Danke fürs Lesen, dass du mir zugewandt bist, und bis bald!

Alex