Newsletter #5 – Written in March

Ihr lieben Mitmenschen,

ich komme gerade von einem zweieinhalbstündigen Spaziergang zurück, und ich muss sagen: Das war ein triftiger Grund, das Haus zu verlassen, nachdem ich das die letzten zwei Tage überhaupt nicht gemacht habe. Jetzt bin ich voller Sonne und kann euch gut schreiben.

Viele Menschen trifft die aktuelle Situation mehr als mich, selbst in meinem unmittelbarsten Umfeld. Ich bin gesund und fit und habe vor das zu bleiben, und mein Beruf beinhaltet eh viel Daheimsitzen und Schreiben. Trotzdem haben mich die letzten zwei Wochen sehr ausgebremst. Wie zuletzt geschrieben war ich gerade wieder richtig in München angekommen und hatte mir für das Frühjahr vorgenommen, viele Menschen kennenzulernen, wiederzusehen, viel in der Stadt unterwegs zu sein, mir neue Kreise zu suchen und aufzubauen, neue Projekte und Möglichkeiten anzugehen. Die Gruppentherapie, die mir supergut tut, findet nun erstmal nicht statt. Die ganzen Wohnzimmerlesungen, die ich ausgemacht hatte, müssen ausfallen (natürlich nur, um noch schöner nachgeholt zu werden!).

Bei jedem (ziemlich nachvollziehbaren) Schritt, der verkündet wurde, um einzudämmen, dachte ich: Okay, du nimmst die Situation an. Du kannst viel daraus lernen. Adapt. Ich war dankbar und resilient. Seit Freitag fiel es mir schwer, das aufrechtzuerhalten, und wie meine Mitbewohnerin mir heute Morgen ganz empathisch dargelegt hat: ist das okay. Ich bin nicht am schlimmsten dran, aber auch mich – wie alle anderen – trifft das und schränkt das ein, und in der aktuellen Phase, in der ich offener und more outgoing sein möchte, noch mal ein bisschen mehr. Ihre lieben Worte und der anschließende Spaziergang haben mich nun wieder an einen Punkt gebracht, an dem ich mich wohler fühle: in ein Mindset der Dankbarkeit und Liebe.

Ein joggendes Pärchen lief an mir vorbei, und er sagte zu ihr: „Das ganze social distancing macht was mit der Gesellschaft, und wenn das vorbei ist, wird es bestimmt dauern, bis die Leute sich wieder vertrauen.“ Da dachte ich: Nein! Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich habe von der Au zum Föhringer Stauwehr und zurück beobachtet, wie Leute aufeinander achten, Abstand halten, auf ihre Mitmenschen schauen. Ich habe jetzt mehr Vertrauen in die Gesellschaft als vorher, weil ich erlebt habe, wie alle mitziehen. (Fast alle, schon klar, aber das Fass machen wir jetzt nicht auf.) Das einzige, was ich etwas schade fand, war, dass oft kein Blickkontakt zustande kam. Ich habe die Leute durchgehend angegrinst, und da kam ganz wenig zurück. Ja, wir sind verunsichert, aber das Virus wird definitiv nicht dadurch übertragen, dass man sich anschaut. Lächeln ist weiterhin erlaubt. Eine Verbindung zwischen Menschen kann auch mit 1,5 Meter Abstand entstehen.

Das ist also jetzt meine Aufgabe, und das ist die Art, wie ich durch die nächste Zeit gehen will. Die Mitbewohnerin sagte vorhin, als ich fragte, ob ich beim Kochen helfen solle: „Am meisten hilfst du mir, wenn du glücklich bist. Also, bei dir bist, so wie die letzten Wochen.“ Ich lasse mich also bekochen und beruhige und beliebe meine Umgebung. Geholfen hat mir dabei anfangs auch eine Meditation von Laura Seiler zur aktuellen Lage, die ich gerne mit euch teilen möchte. Wer möchtest du sein in den Zeiten einer Krise?

Sonstige Neuigkeiten:

– Die Auftritte und Lesungen sind erstmal bis Mitte Mai abgesagt worden. Der Slam in Kempten im April wird vermutlich in den November verlegt. Gekaufte Karten behalten ihre Gültigkeit. Mein nächster Auftritt wären dann die Stützen der Gesellschaft in der Lach und Schieß am 19. Mai. Mal schauen, ob das so stattfindet. Bis dahin schreibe ich, verrate aber noch nicht, was 🙂

– Ich habe meine Website ein bisschen umgestaltet, ein bisschen übersichtlicher gemacht, und vor allem einen Menüpunkt „Archiv“ erstellt. Und da ich jetzt viel Zeit habe, wird der sich ganz gut füllen die nächsten Wochen: mit Stockfotos, Textübersicht, Auftrittsarchiv etc. Für die Nerds unter euch.

– Wie immer nach allen anderen: habe ich jetzt auch einen Spotify-Account. Musik ist eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben, und nachdem ich einige Zeit wenig gehört habe, entdecke ich gerade ganz viel Neues. Für euch habe ich dort einige Playlists erstellt: mit Liedern, die mich mein Leben lang begleitet haben; mit den Liedern, die ich backstage gehört habe, bevor ich damals Slam-Meister geworden bin (schön gedropt, das Thema, high five); und in den nächsten Wochen kommt da auch für jedes meiner bisherigen Bücher (high five) eine Playlist mit begleitender Musik. Wenn ihr mir folgt, kriegt ihr da dann jeweils eine Meldung von Spotify, wenn es soweit ist.

– Und besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen: Ich bin wieder bei Instagram. Ich habe gemerkt, dass ich – während all dem Hin und Her und der ganzen weirden aber auch schönen Phase, die bei mir seit Monaten abläuft – gerne Menschen in meinem (auch engen) Umfeld die Möglichkeit geben möchte, regelmäßiger als in diesem Newsletter etwas von mir mitzubekommen, wenn sie das möchten. Ich poste, wann es mir Spaß macht, und sehe es nicht mehr als „Ich muss ein Insta-Profil haben, sonst ist meine Bühnenkarriere vorbei, also content, content!“ an. Und plötzlich ist es okay.

Kunst, die mich seit dem letzten Newsletter bewegt hat:

– Meine Lesebühnenkollegin Sandra Hoffmann hat ein neues Buch geschrieben, das heißt: Das Leben spielt hier. Es ist die Art Jugendroman, die ich total gerne mag, weil sie eigentlich fast schon kein Jugendroman ist, weil sie auch das Innere Kind in Erwachsenen anspricht. So ein bisschen das, was John Green („Looking for Alaska“, „Paper Towns“) auch macht. Oder diese J.K. Rowling. Sandra schafft es, mit drei Figuren auszukommen, und eine sehr dichte, schöne und nahe Erzählung zu schaffen, die mich berührt und glücklich gemacht hat. Hanser Verlag, ISBN 3446264337

– Sex Education. Netflix. Kennt ihr eh. War ich spät dran (siehe Spotify). Aber das macht Spaß.

– Und wenn wir schon bei bereits älteren Kunstwerken sind und weil es gerade irgendwie passt: Hört euch mal wieder „Räumliche Distanz“ von Funny van Dannen an.

– In der Sparte Bildkunst empfehle ich in Zeiten der geschlossenen Ausstellungen: Kinderfotos anschauen!

– Und zuletzt: Tanz/Bewegung. Hört euch einmal (und wirklich nur einmal!) „There’s a Party“ von DJ Bobo an und tanzt dabei ausgelassen durch die Wohnung. Und dann teilt das Video davon auf Instagram. Ich bin gerne Multiplikator.

Was sonst noch wichtig ist:

Meine Lieblingsbuchhandlung leidet, wie alle anderen Buchhandlungen, wie alle anderen Kleinbetriebe, unter der Situation. Wenn ihr euch also euer nächstes Buch bestellt, tut das gerne nicht bei großen Händlern: support your local bookstore! Bücher verschicken dürfen sie nämlich noch, nur keinen Kundenverkehr haben. Also: Buchhandlung raussuchen, Mail schreiben, Buch bestellen, und das kommt mit Rechnung zu euch. Oder einfach gleich bei meiner lieben Autorenbuchhandlung machen (zum Beispiel Sandras Buch). Ihr könnt dabei gerne das Lied „The Bookstore Is Closed“ hören.

Special Treat des Monats:
(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)

Ihr Lieben, macht euch eine schöne Zeit, soweit das geht. Ihr habt das eh sehr oft gehört alles: schaut aufeinander, bleibt gesund, kümmert euch um eure Mitmenschen, seid dankbar für all die Berufe, von denen jetzt die ganze Welt endlich mal vor Augen geführt bekommt, wie wichtig sie sind. Und grinst Leute an. Seid Leuchttürme.

Und weil ein Satz mir in den letzten Tagen nicht aus dem Kopf gegangen ist, nämlich: „Es ist halt trotzdem Frühling“, hier noch ein schönes Frühlingsgedicht von einem gewissen William Wordsworth:

„Written in March“

The cock is crowing,
The stream is flowing,
The small birds twitter,
The lake doth glitter,
The green field sleeps in the sun;
The oldest and youngest
Are at work with the strongest;
The cattle are grazing,
Their heads never raising;
There are forty feeding like one!

Like an army defeated
The snow hath retreated,
And now doth fare ill
On the top of the bare hill;
The Ploughboy is whooping–anon–anon:
There’s joy in the mountains;
There’s life in the fountains;
Small clouds are sailing,
Blue sky prevailing;
The rain is over and gone!

Bis bald, alles Liebe für euch und eure Menschen
Alex