Alleine verdauen

Irgendwann ist es Standard geworden
dass ich beim Essen Netflix schaue
Der Computer sitzt auf dem Holztisch
wie eine schlecht erzogene Katze
Seit meine Mitbewohnerin einen neuen Job hat
fällt es mir schwerer, zu Hause zu sein
Alleine kochen
Alleine essen
Alleine verdauen
Heute habe ich mich dazu gezwungen
den Laptop in meinem Zimmer zu lassen
Es gibt Gelbes Dal und Basmatireis
Ich fürchte mich vor den Erinnerungen
an die Abendessen meiner Kindheit
Vielleicht muss ich lauter schmatzen
Chrm
Chrm
Chrm
Mh
Mnjam
Chrmchrm
Chrm
Ich liebe dich, Alex

Newsletter #9 – Dichter:innen und Denker:innen

Ladies and Genderfans,

meine Freundin Fee und ich schreiben uns seit Jahren Nachrichten aus dem Zug mit Dingen, die wir verstehen, wenn die Begleiter:innen „Ladies and Gentlemen“ sagen. Ladies and Champions, Ladies and Schelme. Ladies and Jennifer. Es ist ein großer Spaß. Ist mir nur gerade eingefallen, als ich den Betreff genderte.

Fee und ich haben uns zuletzt Mitte Oktober gesehen, als entgegen aller Wahrscheinlichkeiten unsere Lesebühne „Die Stützen der Gesellschaft“ stattfinden konnte. In meiner Heimatstadt Lindenberg. Alle im Publikum trugen Maske, saßen auseinander, niemand sang bei Franks „Gefühlter Übersetzung“ mit, und wir mussten das Mikro desinfizieren, wenn wir dran waren. Und trotzdem hatten wir Tränen in den Augen während der Show und danach, weil wir uns so gefreut haben, endlich mal wieder (zuletzt im Februar) zusammen auftreten zu dürfen. Am Ende wurde Sven sehr emotional und nahm das Publikum in die Pflicht, der Kultur beizustehen in diesen Zeiten. Wir hätten uns alle hart erarbeitet, von unserer Kunst leben zu können, und die momentanen Vorschriften gingen vielen an die Existenz. Es sei mehr als ein bisschen vorlesen. Unsere Leben hingen daran, dass wir diese Phase überstünden. Ein Lockdown in dieser Form käme einem Berufsverbot gleich, für alle vor und hinter und auf den Bühnen des Landes. Er sagte noch mehr, und er sagte es schöner, vor allem, weil seine Stimme so schön tief ist.

Ich war kurz irritiert, denn es war meine Heimat, und hier stand dieser erfahrene, whiskytiefe Philosoph, der mir so oft ein Vorbild war, und bat Menschen, die mich kennen, darum, doch bitteschön ordentlich Bücher zu kaufen und andere Dinge zu unternehmen, damit wir und damit die Kunst all das überleben. Was sollen die Leute denken, erinnerte ich mich an einen Buchtitel von Jess Jochimsen. Doch dann war ich stolz, weil Sven formulierte, was ich oft gedacht, aber nicht ausgesprochen hatte. Während des Lockdowns kommst du mal wieder zum Lesen? Kunst. Eine Serie schauen? Kunst. Netflix, die Lieblingsmusik, Brettspiele? Die Kunst hilft jeder und jedem von uns, den Verstand nicht zu verlieren in dieser Zeit, da dies so wahnsinnig leicht ist.

Neulich stand ich in Balingen, wo die DB-Busse („Ladies und Schämen“) alle zwei Stunden fahren, und während des Wartens sah ich ungefähr 50 Schüler:innen sich über Minuten am Bahnsteig auf den Bus warten, während sie sich anschrien, schubsten, umarmten. Keine Masken, nichts. Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Wenn ich den ganzen Tag in der Schule Maske tragen müsste, würde ich auch jede Gelegenheit nutzen, sie mir vom Gesicht zu ziehen. Ich mache noch nicht mal denjenigen einen Vorwurf, die all das entscheiden müssen, denn in ihrer Haut möchte ich nicht stecken. Doch egal, wie das Virus jetzt mit Jugendlichen verfährt, finde ich es absurd, Schulen mit mehreren Hundert Schüler:innen offen zu lassen (ja, ich weiß, sonst könnten deren Eltern dem Staat keine Arbeitskraft liefern und, wichtiger, viele Eltern sind darauf angewiesen, dass ihre Kids in der Schule Mittagessen, etc.), während Kulturveranstaltungen mit extremen hygienischen Auflagen dicht machen müssen.

Eine Lösung für die momentane Situation habe ich nicht, und halte mich an die Regeln. Doch Sven hatte Recht: Sie treffen die Kulturbranche unverhältnismäßig hart. Wie meine Freunde Max und Jonas aka Das Lumpenpack (schau dir ihr neues Video an!) singen: „Hilfe für die Lufthansa, Mitleid für die Kunst.“ Deshalb auch hier noch mal der Aufruf: Ein ganzen Jahr seinen Beruf nur eingeschränkt oder nicht ausüben zu können, geht an niemandem spurlos vorbei. Ob finanziell oder psychisch. Wir sind nicht die Einzigen, das ist klar, und ich selbst kam recht glimpflich durch das Jahr. Aber viele meiner Kolleg:innen genauso wie Bekannte aus der Veranstaltungsszene kommen an ihr Limit. Die Bitte ist einfach: Vergiss uns nicht. Und damit meine ich nicht Netflix und Amazon Prime. Ich meine diejenigen, die deine Stadt, dein Umfeld, deinen Alltag und dein seltsames Jahr begleiten mit ihrem Schaffen. Support your local artists as much as you can.

News:

– Morgen beginnt die Bayerische Akademie des Schreibens. Ich hatte die letzten beiden Male vollkommen vergessen, dir zu sagen, dass ich für das diesjährige Seminar angenommen wurde. Bedeutet 3×5 Tage Blockseminar, und am Ende hoffentlich eine schöne Version eines Romans. Veranstaltet vom Literaturhaus München und dieses Jahr hauptsächlich über Zoom begleiten eine Autorin und ein Lektor neun Schriftsteller:innen bei der Arbeit. Und ich mittendrin. Juhu!

– Ich habe einen Text geschrieben, weil der Sponsor des Kemptener Slams, die AÜW, 100 Jahre alt wird. Sie wollten deshalb von mir etwas zum Thema Energie, und ich habe mir viel Mühe gegeben und schließlich diesen Text hier über mich als Energy-Man geschrieben. Enjoy!

– Mein lieber Verlag, der Satyr Verlag Berlin, ist von der Pandemie besonders betroffen, da er etwa ein Drittel seines Umsatzes mit dem Verkauf bei Live-Veranstaltungen macht. Solltest du ein Weihnachtsgeschenk für jemand Liebes brauchen oder dich selbst etwas im Sortiment umschauen wollen, freut Volker sich. Du bekommst dort alle meine bisher erschienenen Bücher. Davon werde ich persönlich zwar nicht reich, aber wie gesagt: Ich komme gut durch. Jetzt geht es erst einmal um die Anderen. Ich möchte auch in ein oder zwei Jahren noch in einer Welt mit Verlagen, Buchhandlungen, Gastronomie und Konzerten leben.

– Und jetzt die Belohnung für so viel Engagement deinerseits: Ich habe im Oktober und November sehr viele Gedichte geschrieben, und grob überschlagen reichen sie aus, um einen Adventskalender damit zu machen. Auf meiner Website unter alexburkhard.de/archiv/blog gibt es ab 01.12. jeden Tag ein Gedicht für dich. Und manche sind wirklich gut!

Kunst, die ich in den letzten Wochen mochte:

– Meine Gedichte. Hihi.

– Den Instagram-Kanal von @feliciachiao

La casa de papel auf Netflix. Die ersten beiden Staffeln haben mich richtig gepackt. Ist immer schön, wenn Figuren nicht als gut oder schlecht dargestellt werden, sondern sämtlich eine Story haben. Für jede Staffel habe ich zwei Bücher in der Buchhandlung gekauft. Das nur so als Orientierung :-*

Special Treat des Monats:
(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)

Den Betreff des Newsletters habe ich vor dem Rest geschrieben. Er suggeriert eine intensive Beschäftigung mit gegenderter Sprache in Deutschland und ob sie in der Literatur funktioniert. Das war dann heute gar nicht das Thema, aber wichtig wäre es trotzdem. Gendern ist wichtig, weil Sprache unsere Wahrnehmung prägt. Und so lange in diesem Land keine faktische Gleichberechtigung herrscht, sollten wir diesen Weg gehen. Wenn ich auch im Roman nicht immer mit :innen gendern werden kann, so versuche ich es doch, und wo es nicht geht, nehme ich einfach abwechselnd die weibliche und die männliche Form. Auch wenn weibliche und männliche Form auch nur gesellschaftliche Konstrukte usw. Das als kleiner Exkurs am Ende. Weil viel unterging in diesem verrückten Jahr.

Ich wünsche dir eine schöne Vorweihnachtszeit und viel Spaß mit meinem Adventskalender. Gute Rauhnächte auch, die haben letztes Jahr ihre Magie bei mir voll entfaltet. Ich wünsche dir Liebe und dass du siehst und gesehen wirst. Vor allem wünsche ich dir Gesundheit. Du darfst stolz darauf sein, was du bis hierher geleistet hast.

Alles Liebe
Alex