Juhu, endich wieder ein Newsletter!
Einen schönen Sonntag, ihr
lieben Menschen in meiner Liste, die ihr ab und zu von mir lesen wollt.
Mein Fenster ist offen, ich höre die Stimmen von Sonntagsspazierenden,
und mir geht es sehr gut. Ich hoffe, euch auch 🙂
Als ich euch
zuletzt geschrieben habe, war ich gerade auf dem Weg nach Rottweil, um
dort mein Stadtschreiberstipendium anzutreten, das war Mitte September.
Diese Phase war der Auftakt zu enormen Umwälzungen, die sich in mir und
meinem Leben ereignet haben. Ich leide seit vielen Jahren immer wieder
unter depressiven Episoden. Das ist nichts außergewöhnliches, aber dass
darüber geredet wird, ist immer noch selten. Ich selbst habe die
aktuelle lange Zeit unterschätzt, weil ich eine Freundin und einen Hund
hatte, gut vom Schreiben und Auftreten leben konnte, und von 2011 bis
2014 schon unzählige Stunden der Psychoanalyse hinter mir hatte. Meine
Therapeutin sagte damals: Das ist nie ganz „geheilt“, das kann immer mal
wieder stärker werden. Es wurde zuletzt so stark, dass ich monatelang
keinen Spaß mehr an Auftritten hatte, mir ständig Sorgen und meiner
Freundin und mir einen dermaßenen Druck gemacht habe, dass sie nicht
mehr mit mir weitermachen wollte.
Aber Alex, sagt ihr jetzt, die
Einleitung war doch voll positiv, und du hast was von guten Umwälzungen
geschrieben. Das stimmt. In meiner Zeit in Rottweil habe ich viel
meditiert, Yoga gemacht, bin spazierengegangen. Alles, was mir vorher
auch schon geholfen hat, nur konzentrierter, weil kein finanzieller
Druck da war. Dazu kam nach Monaten der Wartezeit ein Therapieplatz. Ich
habe für mich beschlossen, wieder mit dem Herz durch die Welt zu gehen
statt nur mit dem Kopf, offen und verletzlich zu sein. – Zwei Wochen
später war die Beziehung zu Ende, und der Dezember war schwer. Es
überlagerten sich Depression und Liebeskummer und Stipendium und
Wohnsituation, und warum ich das teile ist eine simple Erkenntnis: Ich
bin nicht allein. Menschen sind da. Sie boten mir ihr ihr Zuhause an,
unzählige Stunden des Telefonierens, jede Hilfe, die ich mir wünschen
konnte. Als es Mitte Dezember nicht mehr ging, war von Wartezeit keine
Rede mehr, und ich hatte, wieder in München, sofort Profis an meiner
Seite, die dafür sorgten, dass ich nicht komplett durchdrehte. Und das
ist wichtig: Depressionen und akute Lebenskrisen sind so verbreitet, und
viele trauen sich nicht, sich Hilfe zu suchen. Die Hürden für einen
Therapieplatz können sehr hoch wirken, und da wir ja alle permanent
funktionieren müssen, trauen wir uns nicht, unseren Freund*innen zu
erzählen, wenn es wirklich schlimm ist. Die haben ja selbst so viel
Stress, sagen wir uns, und besprechen alles mit uns selbst. Solltet ihr
jemals in eine Situation kommen, in der ihr das Gefühl habt, das alleine
nicht mehr schaffen zu können: Holt euch Hilfe. Vertraut euch euren
Mitmenschen an, und ruft einen Krisendienst an. Das System in
Deutschland ist nicht ideal, aber die Menschen in ihm versuchen alles,
um euch zu helfen. In München ganz konkret: die Arche e.V.
Ich habe angerufen, hatte am selben Abend einen Termin mit einer
Psychologin und den Namen einer Psychiaterin für den nächsten Morgen.
Kurzer Witz, damit es nicht zu schwer wird: Was ist grün und fliegt durch den Weltraum?
Ein Salatellit.
Ich
stand im Bad eines Freundes und dachte: Klar, ich habe voll
Liebeskummer, aber ich nehme doch jetzt keine Antidepressiva. Ich hatte
Angst vor der Liste mit den Nebenwirkungen, dass sie mich stumpf machen.
So schlimm geht es mir nicht, dachte ich, dass ich anfange, Tabletten
zu nehmen. Es stellte sich heraus: doch. Es ist keine hohe Dosierung,
aber sie helfen mir, einen Nährboden zu schaffen für alles, was ich so
vorhatte: Verarbeiten, Trauern, das schöne neu Gefundene
weiterentwickeln, wieder wo anzukommen, loszulassen. Ich habe nie ein
Problem damit gehabt, Menschen zu sagen, dass ich Depressionen hatte
(habe), ich bin so interessiert an der Psyche, ich weiß, dass niemand
etwas dafür kann, dass er oder sie psychische Probleme hat, und trotzdem
hatte ich immer diese Stimme im Kopf, die sagte: Ach was, du hattest
doch ne Therapie, warum noch eine? Ach komm, Medikamente? Alter, jetzt
stell dich nicht so an! Ich finde es beängstigend, wie stark selbst in
mir psychische Erkrankungen stigmatisiert sind, wie ich mich geschämt
habe, dass ich es alleine nicht mehr geschafft habe. Alle anderen machen
einfach weiter, dachte ich, holen sich den nächsten Partner, machen
ihren Job, schauen Netflix. Warum kriegst du es nicht hin? So denke ich
nicht mehr, aber vor allem deshalb, weil ich anerkannt habe, wer ich bin
und wer nicht, was ich schaffe und was nicht, und mir Hilfe geholt
habe, als ich sie brauchte. Und genau das nicht mehr als Schwäche
angesehen habe. Außerdem habe ich mir sagen lassen, dass es viele andere
auch nicht „hinkriegen“. Sie haben nur Angst davor, was passiert, wenn
sie wirklich hinschauen. Und das verstehe ich. Es ist beängstigend,
traurig, hart. Aber es lohnt sich: Ich habe mich – und das schreibe ich
knappe drei Monate nach einer aus unterschiedlichen Gründen wirklich,
wirklich traurigen Trennung – in meinem Leben noch nie so gut gefühlt
wie gerade. Ich war noch nie so im Einklang mit dem, wer ich bin. Die
Entscheidung, Liebe und Vertrauen zu wählen, nachdem mein Kopf zwanzig
Jahre lang gesagt hat: du musst Angst haben, alles geht irgendwann
kaputt, misstraue, mach dir Sorgen um deine Zukunft, du bist wertlos, du
bist unattraktiv, diese Entscheidung ist befreiender als alles, was ich
mir hätte vorstellen können. Selbstliebe, Leute. Nicht Eitelkeit, klar.
Wirkliche, ehrliche Selbstliebe, ein sich selbst Annehmen wie man ist –
es ist der Wahnsinn. Ich hoffe, ihr wisst das eh schon <3
Zusammenfassend:
Ich lebe wieder in München, habe Lust auf die Auftritte der nächste
Wochen, meditiere, lese, mache Yoga, ein Coaching, Therapie, weine,
lache und habe erstmals seit ich mich erinnern kann keine Angst vor der
Zukunft. Es geht sich alles aus. Und jeder Mensch ist vollkommen. Nicht
perfekt. Aber vollkommen. Dir fehlt nichts. Du bist nicht falsch.
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.
Das waren schon viele News, aber jetzt vielleicht einige andere:
– Mein aktuelles Buch „Was ich ihr nicht schreibe“ gibt es mittlerweile auch als Hörbuch, komplett eingelesen von mir. Angeblich habe ich eine schöne Stimme. Hört es euch an!
–
Ich würde gerne in den nächsten Wochen und Monaten einige
Wohnzimmerlesungen machen. Ich habe damit in Rottweil angefangen, und es
hat so viel Spaß gemacht, und war so viel näher und persönlicher, als
auf einer großen Bühne zu stehen. Und es passt viel besser zu meinem
aktuellen Buch. Wie sieht das Ganze aus? Ihr habt ein Wohnzimmer, in das
20-50 Menschen passen, ladet 20-50 Menschen ein, ich lese eine gute
Stunde aus dem Buch, und dann reden wir über die Texte oder das Leben
oder worüber wir reden wollen. Ich habe eine BahnCard100 und brauche
maximal ein Sofa irgendwo. Wir lassen einen Hut rumgehen, ansonsten
brauche ich nichts. Warum ich das mache? Es gibt Auftritte, die mir mein
Einkommen bescheren, und es gibt Auftritte, die ich machen möchte. Und
ich möchte euch gerne kennenlernen, die Menschen, die euch wichtig sind.
Ich habe festgestellt, wie viel mehr Spaß mir eine persönliche Lesung
macht als ein Kabarett-Solo vor einem dunklen Raum zu spielen. Ich werde
nie derjenige sein, der die O2-World ausverkauft, weil er so geil
lustig ist. Ich bin derjenige, der versucht, im kleinen die Menschen zu
berühren und mit einer halbwegs sinnvollen Message und Haltung durchs
Leben zu gehen. Da fühle ich mich wohl, und das möchte ich mit euch
teilen. Ich kann natürlich nicht versprechen, dass ich alle Einladungen
annehmen kann, aber das soll euch nie davon abhalten, zu fragen. Je
München, desto besser. Ich freue mich!
– Meinem Hund Ibsen, weil
viele von euch gefragt haben, geht es hervorragend. Er ist seit einem
knappen Jahr bei seinen neuen Menschen, und fühlt sich dort extrem wohl.
Es tut ihm gut, nicht mehr alle zwei Wochen zwischen mir und
Hundesittern zu pendeln, weil ich dauernd weg bin. Er ist ausgeglichen,
und immer, wenn ich mit ihm spazieren bin, denke ich, was für eine gute
Entscheidung das war, ihm diesen neuen Ort zu schaffen. Ich bin oft
traurig, dass ich ihn nach neun Jahren weggegeben habe, aber es war die
richtige Entscheidung für ihn, und das ist mehr Wert als mein Ego, das
mir deshalb ein schlechtes Gewissen machen möchte. Trotzdem schreibe ich
noch „mein Hund Ibsen“ <3
Kunst, die ich in den letzten Monaten bemerkenswert fand:
– Die Biografie von Trevor Noah, einem Late-Night-Host,
fand ich stark. Sie heißt „Born a Crime“ und handelt von seinem
Aufwachsen in Südafrika. Wahnsinnig authentisch und informativ, klare
Empfehlung.
– Emily Pine hat „Notes to Self“ geschrieben, eine
Sammlung von fünf oder sechs persönlichen Essays (meine Ausgabe ist noch
in einer Kiste). Besonders eindrücklich ist die Geschichte, in der sie
und ihr Partner versuchen, ein Kind zu bekommen. Was es mit ihr macht,
als das nicht klappt. Welche Gefühle sie gegenüber ihrer Schwester
entwickelt, die wieder schwanger ist. In welche Richtung die Vorwürfe
gehen und wie sie schließlich irgendwo ankommt, wo sie alles halbwegs
akzeptieren kann. Ich mag einfach diesen persönlichen Essaystil sehr
gerne, was ihr an meinem neuen Buch vielleicht schon gemerkt habt.
–
„My Absolute Darling“ von Gabriel Tallent lese ich gerade und bin sehr
bewegt. Auf Englisch hatte ich die ersten Seiten noch Probleme mit dem
krassen Wortschatz, aber habe mich daran gewöhnt. Das Buch handelt von
einer 14-Jährigen, die in Nordkalifornien mit ihrem Vater aufwächst, der
sie psychischer und teilweise auch physischer Gewalt aussetzt. Es ist
so eindringlich aus der Perspektive des Mädchens geschrieben, ihre
Gedanken zu ihrer Situation sind wahnsinnig fein herausgearbeitet: Das
sich selbst Schuld geben, der Widerstand, die Verbundenheit zu ihrem
Vater. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, wo das Buch endet, weil
alles von ihr gleichzeitig als normal und aushaltbar und als
schrecklich beschrieben wird. Extrem einfühlend erzählt.
–
„Paris, Texas“ kennt ihr vermutlich, ein Film von Wim Wenders. Ich habe
in Rottweil viel nachgeholt an klassischen Filmen, die ich nie gesehen
habe. „Casablanca“, „La dolce vita“, „Ein Fisch namens Wanda“,
„Chinatown“!!, und eben „Paris, Texas“. Ich mag es, wenn ich vorher
nicht weiß, was mich erwartet, und dann weggeflasht werde von der
Bildgewalt und der Sprache eines Films. Ich möchte gar nicht viel
verraten, aber diese lange Dialog- und die Schlussszene – Alter!
Anschauen!
– Eine Freundin hat mir zu Neujahr das Versprechen
abgenommen, dass ich nicht den ganzen Tag an mir arbeite und meditiere
und meine Persönlichkeit entwickle, sondern auch mal Netflix schaue. Das
habe ich bisher so gut wie nie gemacht, aber ja, leider geil. Meine
erste Serie war „Atypical“, die Coming-of-Age-Geschichte von Sam, einem
autistischen 18-Jährigen. Toll geschrieben, cooler Plot über
mittlerweile drei Staffeln, und wirklich liebevoll. „The essence of
anyone is the one thing that stays true about them in any situation.“
Word. So ungefähr würde ich eine Serie schreiben wollen, wenn ich eine
Serie schreiben könnte.
Auftritte in den nächsten Wochen:
–
Morgen Abend: Best of Poetry Slam in Hamburg, Ernst Deutsch-Theater.
Der erste Slam mit Simultanübersetzung für Gehörlose. Ich habe meine
Texte („bitte keine Wortspiele“) im Voraus geschickt und freue mich,
live mit Gebärdendolmetscherin aufzutreten. Das wird bestimmt eine tolle
Erfahrung. Der Slam ist ausverkauft, aber falls du zufällig in Hamburg
wohnst und kommen möchtest, schreib mir – vielleicht kriege ich noch
eine Gästekarte organisiert!
– Kommenden Mittwoch, am 29.01., sind wir mit den „Stützen der Gesellschaft“ in der Lach und Schieß.
Es gibt noch einige Karten, und ich freu mich, wenn wir uns bei meiner
Lieblingslesebühne sehen. Und so oft werde ich den König-Ludwig-Text in
München nicht mehr live machen 😉 (Nächster Termin: 03.03.)
– Falls ihr kommende Woche nicht könnt, dann vielleicht nächste? 05.02., Stützen der Gesellschaft in der Monacensia.
Das Archiv der Münchner Schriftsteller*innen bietet uns fortan zwei Mal
pro Jahr einen Raum für ein Gastspiel. Und die Kooperation macht Sinn:
Wir stellen in eh in jeder Show Münchner Künstler*innen vor, warum also
nicht dort, wo ihr Andenken aufbewahrt und hochgehalten wird? In jeder
Show werden wir einen runden Geburtstag oder Todestag begehen, in dem
wir extra einen neuen Text schreiben – in diesem Fall beschäftigt sich
der tolle Frank Klötgen mit Annette Kolb. Es wird alles salonmäßiger bei
uns dieses Jahr, darauf freue ich mich. (Nächster Termin: 01.07.)
–
Am 07.03. findet in Lindenberg der nächste Slam statt, nur dass es kein
Slam ist, sondern eine Show. Katrin Freiburghaus kommt und liest und
singt (auch ein oder zwei Lieder mit mir!), Marius Loy und Nik
Salsflausen kommen und lesen und singen (sie haben eine Band, mit
Geige!). Plus Nuria Glasauer, eine junge Poetin, die am
Literaturinstitut Leipzig studiert und jetzt schon besser ist als ich,
dabei war sie mal meine Workshopschülerin. Das wird eine tolle Runde!
–
Im März bin nich bei der Buchmesse in Leipzig, mit einer Lesung auf der
Leseinsel der unabhängigen Verlage. Außerdem bin ich beim Gipfeltreffen
G3 und beim Buchmessenslam, jeweils im Schauspielhaus, dabei.
Weitere Termine gibt es auf meiner Website.
Was sonst noch wichtig ist:
Ich
habe in München gerade ein schönes Zimmer in einer fantastischen
Wohnung. Es ist der perfekte Ort, um wieder in München anzukommen.
Allerdings geht das nur bis maximal Ende Mai. Wenn ihr also, liebe
Münchnerinnen und Münchner, von einer Wohnung hört, die irgendwann im
Laufe des Frühjahrs frei wird: Lasst es mich bitte wissen. 2-3 Zimmer,
maximal 1.200 mit allem (schönen Gruß an alle, die nicht in München
suchen müssen), innerhalb des mittleren Rings. Altbau, Stuck, Balkon,
Badewanne und Baum vor dem Fenster sind fakultativ.
Solltet ihr mir
wo anders hinlocken wollen, könnt ihr euer Glück auch gerne versuchen.
Ich bin zum Beispiel auch sehr offen für Häuser in den schwedischen
Schären, falls ihr gerade eins günstig abzugeben habt.
Specal Treat des Monats:
(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)
Ich hoffe
sehr, dass euch diese Nachricht nicht erschlagen hat. Ich habe für mich
festgestellt, dass es nicht meine Aufgabe ist, die Welt im Alleingang
zu retten, indem ich verpackungsfrei einkaufe.
Das tue ich, wo es geht, aber wenn es nicht geht, geht es nicht, ohne
dass ich zusammenbreche. Ich glaube, wo ich die Welt ein bisschen besser
machen kann, ist vor allem in meiner Kunst. Dass ich gut bin,
authentisch, persönlich. Dass ich die Menschen mit Storys über mich
abhole und versuche, mit diesen Geschichten etwas in ihnen zu bewegen,
das sie in diesem Moment gerade bereit sind zu bewegen. Deshalb die
Hauslesungen, deshalb der Stil des neuen Buchs und deshalb auch die Art,
den Newsletter zu schreiben. Ich verstehe, wenn das für den einen oder
die andere vielleicht nicht das ist, was ihr euch vorgestellt habt, als
ihr ihn abonniert habt. In dem Fall schreibt mir einfach, dann nehme ich
euch wieder raus. No hard feelings whatsoever <3
Ihr Lieben,
habt einen schönen Sonntag und einen guten Start in die Woche. Schreibt
mir, wenn ihr euch danach fühlt, ladet mich ein, lest und hört mein Zeug
an. Lasst die Kunst (nicht nur meine) euch bewegen, vertraut euch und
wählt jeden Tag wieder die Liebe, denn sie ist viel schöner als die
Angst.
Nur das beste für euch!
Alex