Schulweg

Sonne am Morgen, ich lauf nach Norden
Mit Raphaela ist es nichts geworden
Acht Uhr ist Schule, ich bleib vielleicht sitzen
Schon der Gedanke bringt mich ins Schwitzen

Ich schau meine Kleidung dort im Fenster an
Ein Pubertätskampf, den ich gewann
Ich trage Nieten, und hautenge Pants
Und rotgelbe Vans
Rotgelbe Vans

Seh ich die Freunde, kommt mir das Kotzen
Hilfiger, Gucci und trotzdem am Motzen
Mama sagt, ich soll mich einheitlich kleiden
Ich kann den ganzen Laufsteg nicht leiden

Ich ziehe das, was ich grad schön find, an
Zahlreiche Muster, weil ich es kann
Schau, wie ich hier über die Straße dance
In rotgelben Vans
Rotgelben Vans

Noch ein paar Meter, dann bin ich gefangen
Bin diesen Weg viel zu oft schon gegangen
Ich sehe die Aufsicht, die Raufer, die Raucher
Sechshundert Meter, dann wär ich am Flaucher

Ich sehe mir die Konformisten an
Wenn ich nicht jetzt geh, frag ich mich wann
Zeit, dass ich endlich mal die Schule schwänz
In rotgelben Vans
Rotgelben Vans


(Rhythmus angelehnt an die Melodie von „Electric Guitar“ von Tocotronic)

Gleichgewichtssinn

Manchmal fehlt mir das Gleichgewicht
Nicht jedes Mal liegt’s an den Ohren
Manchmal denk ich, ich reiche nicht
Und gebe mir traurig die Sporen

Manchmal liege ich einfach nur rum
Und lasse die Welt mich beschwindeln
Nehme die schönen Momente mir krumm
Und folge sich sorgenden Spindeln

Manchmal denk ich „Das reicht mir nicht!
Ich weiß, dass die Welt mich bereichert“
Dann spür ich: Mein Körper hat kein Gewicht
Ich lasse ihn springen
Und leuchten und singen
Und glaube dran, dass er das speichert

Gärtnerfreuden

das schönste am pflanzen ist graben
in beet oder topf
und leere im kopf
und die hände am ende
voll erde zu haben

das schönste am graben ist wühlen
kräftig und tief
und sehr intensiv
die nährende wärme
des lebens zu fühlen

das schönste am wühlen ist finden
wurzel und stein
kurz nur zu sein
das glück ein stück ton
oder reste von rinden

das schönste am finden ist haben
blumen und zeit
ruhe, bereit
sich am startenden garten zu laben
das schönste am pflanzen ist graben

Sportunterricht

Ich duck mich und hechte und springe
Das Feld ist so klein
Und ich bin allein
An der Decke baumeln die Ringe.

Ich sehe in Dennis‘ Gesicht:
Entschlossenheit pur
Und schau auf die Uhr
Die Stunde ist aus, oder nicht?

„Letzter Wurf“, sagt Herr Wegner
Ich kauer im Eck
Will möglichst weit weg
Und spüre die Hände der Gegner

Ich seh den Ball schaumstoffblau kommen
Irgendwer hält mein‘ Arm
Meine Backe wird warm
Ich taumle und falle benommen

Da johlt applaudierend die Klasse
Und wie ich da lieg
Denk ich nur an Krieg
Mein Gott, wie ich Völkerball hasse.

Der Boden riecht etwas nach Harz
Vom Handballverein
Das fällt mir noch ein
Aber ganz kurz darauf wird es schwarz

Kuchenfalle

Das alles entschei’nde Prinzip einer Falle
Ist ja, dass ich ihren Aufbau nicht schnalle
So müssten wir weniger Tierleichen sehen
Würd‘ ne Maus das Prinzip einer Feder verstehen
(Der genaue Hergang entzieht sich auch mir
Zum Glück bin ich kein Käse liebendes Tier
(Doch finde, die Physiker sollten sich schämen
Als Lockinstrument Leckereien zu nehmen
(Käm‘ ich an ein Holzbrett und säh‘ drauf ’nen Kuchen
Ich würde vermutlich das Selbe versuchen)))

Doch Fallen sind feige, durchdenkt man’s gescheit
Zeigen Fallen ja immer auch Machtlosigkeit
„Im Normalfall würd‘ ich dich niemals bekommen
Drum hab ich ’nen Trick mir zu Hilfe genommen“
(Ich stell dich ins Abseits, ich bau dir ein Pferd
Ich opfer die Dame, ich schwindel beim Wert
(Eine Falle kann viele Facetten erhalten
Und nicht nur dem Tier fällt es schwer, schnell zu schalten
(Seh ich einen Kuchen, dann glüh’n meine Wangen
Die Falle schnappt zu, und du hast mich gefangen)))

Vielflieger

Das Blinken ihrer elektrischen Zahnbürste
Ist eine Boeing auf ihrem Weg
Durch den Nachthimmel des Wohnzimmers

Sie sagen, man solle weniger fliegen
Aber ich sammle weiterhin Meilen

Isartalabschweifung

Hinter mir Bäume, vor mir der Wald
über mir Himmel, unter mir Holz
darunter Wasser, frühlingshaft kalt
neben mir Jakob, Blick voller Stolz

Hinter mir Berge, vor mir der Fluss
über mir Krähen, unter mir schwankt’s
darunter fließt es, Jakob, ich muss
ganz kurz mal sitzen, Jakob, mir langt’s

Sitz auf den Balken, halte mich fest
So viele Kurven noch bis zum Ziel
Jakob, ich sag dir, du machst den Rest
Die letzte Klause war mir zu viel

Den Flößerhaken fest in der Hand
lenkt Jakob an den Steinen vorbei
Steht dabei vorne, direkt am Rand
Heiliger Nepomuk stehe ihm bei

Nun lernst auch du es, sagt‘ er beim Bier
Wenn der Fluss hoch steht geht es ganz leicht
Morgen, sprach Jakob, kommst du mit mir
weil dir zur Ehre Flößen gereicht

Kurz hinter Wallgau fuhren wir ab
Kurz hinter Tölz dann musste ich speibn
In Wolfratshausen machte ich schlapp
Seitdem macht Jakob, ich lass mich treib’n

Jakob, bis München, sag mir: wie lang?
Grad erst in Icking, ja geh verreck
Hilft ja nichts, Jakob, gib mir die Stang‘
Plötzlich ist alle Übelkeit weg

Rennen und stoßen, ziehen und steh’n
Nach fünf Minuten merk ich den Schweiß
Mut der Verzweiflung, muss halt jetzt geh’n
Wasser spritzt und die Sonne brennt heiß

So wurd‘ ich Flößer, bin es noch jetzt
Jakob, ich dank dir für die Geduld
Hast stets die wilde Isar geschätzt
Jakob, ich stehe in deiner Schuld

Kraftlos nach Stunden der Jungfernfahrt
Kommt dann die Lände endlich in Sicht
Ich juble lautstark, Jakob bleibt hart
Er war ein Flößer – ich war’s noch nicht

Spätoktobergedicht

Dein Körper kann’s spüren:
November ist nah
Noch droht er von ferne
Schon bald ist er da

Er schickt seine Regen
Ihm peitschend voraus
Die Dunkelheit schleicht sich
Direkt vor dein Haus

Du kannst dich erinnern:
Die Kälte im Schuh
Die Schals und die Jacken
Der Reißverschluss zu
Mensch, wer jetzt kein Haus hat
Der Rilke und du

Verlorst dein zu Hause
Verlorst all dein Geld
Verlorst deine Liebe
Verlorst deine Welt

Noch läufst du durch Spätherbst
Samt Sonne und Glück
Doch kommt der November
Alljährlich zurück

Und mit ihm dein Leben
Was bisher geschah
Er gaukelt und nebelt
Erinnert was war
Doch hinter der Drohung
Ist deine Sicht klar

Fragen an die Zahnfee

Wenn mit der Zunge von innen ich drück
Wenn ich nach vorn schieb und wieder zurück
Wenn ich da rüttel und ruckel und stoß
bewegt sich der Zahn, oder träum ich das bloß?

Wenn mit dem Finger ich minimal dreh
Und ziehe und stupse – nee jetzt tut es weh
Wenn jeden Tag Brote und Äpfel ich schmaus
Dann dauert’s zwei Wochen und schon ist er raus

Und ab unters Kissen und unruhig geträumt
Von schmelzweißen Burgen, von Zahncreme umschäumt
von Zahnseideschluchen und Elmex Gelee
Und andern Metaphern, die ich nicht versteh

Im Aufwachen dann, im wohligen Strecken
Im Nicht-genau-wissen, im ganz kurz Erschrecken
Ne Frage, im frisch belückt schlaftrunknen Gähnen:
Was macht die Zahnfee mit unseren Zähnen?

Sammelt sie sie in nem riesigen Speicher
geht darin schwimmen, wird reicher und reicher?
Mahlt sie sie gründlich und würzt ihre Suppen?
Düngt ihre Blumen? Stopft ihre Puppen?

Fertigt sie ganz kleine Milchzahnfiguren?
Reibt sie zu Sand für entsprechende Uhren?
Sind Zähne für sie etwa Delikatessen?
Möchte sie sie zu nem Edelstein pressen?

Spendet sie sie vielleicht zahnlosen Greisen?
Sind Zähne Reliquien in Zahnfeenkreisen?
Platziert sie sie gar als Skulpturen im Garten?
Kann sie die Winterzeit kaum noch erwarten

Nimmt sie als Kunstschnee, als Streusalz für Pendler?
Hat sie nen lispelnden Zahn-Zwischenhändler?
Oder kann sie die irgendwo teuer verkaufen?
Die muss doch so langsam in Zähnen ersaufen! –

Ich greif unters Kissen und taste und wühl
und find einen Euro und hab das Gefühl
dass ich meine Zähne zu billig verkauf
Ich schlag da in Zukunft noch Zahnsteuer drauf!