Newsletter #12 – Dem Gleiches widerfuhr

Guten Morgen!

Bist du gut in den Frühling gekommen? Hattest du schon einen kleinen Sonnenbrand? Ich nämlich schon. Hier ist seit Wochen fast durchgehend blauer Himmel, und nach dem langen, grauen Winter tut mir das ziemlich gut.

Kurz vor Weihnachten hat mich die Nachricht erreicht, dass mein Hund Ibsen gestorben ist. Seit 2019 wohnte er ja bei Julia und Michi, seinen neuen Lieblingsmenschen, und hatte es wahnsinnig schön bei ihnen. Aber das Alter schickte ihm einen Tumor, und der hat in Windeseile die Milz gefressen, und von dort noch ganz viel anderes, so dass sie während der OP entscheiden mussten, ihn nicht mehr zu wecken. Als Julia mich angerufen hat, haben wir so viel geweint, und auch wenn er in den letzten zwei Jahren nicht mehr Teil meines Alltags war, war er doch Teil von mir, und ich habe einige Zeit gebraucht, um das zu verdauen. Ich war nur froh, dass ich eine Woche vorher in einem spontanen Anfall nach München gefahren bin und noch mal mit ihm spazieren war. Da ist er noch mit Stock im Maul an der Isar rumgesprungen, wie er es halt sein Leben lang getan hat. Nur als ich am Ende mein Gesicht in seinem Fell vergraben habe und ihm gesagt habe, wie forh ich bin, dass er bei mir war und dass er einen so tollen Ort gefunden hat, hat es sich – vor allem Rückblickend – ein bisschen nach Abschied angefühlt.

Letzten Sonntag haben wir uns dann alle noch mal getroffen und einen gemeinsamen Abschiedstag verbracht; wir sind seine Lieblingswege gelaufen und haben seine Asche verstreut, die viel grober war, als wir alle dachten; wir haben uns mit Tränen in den Augen Bilder angeschaut und Geschichten erzählt, und ich war fasziniert davon, wie er noch mal ein komplett neues Leben haben durfte – und wie er mich selbst nach seinem Tod noch mit neuen Menschen verbunden hat. Julias Papa und Schwester und Freundin haben so positiv über ihn gesprochen, so herzlich und liebevoll, und am nächsten Tag in der Therapie habe ich sehr geweint, weil ich realisiert habe, dass die ganzen schönen Worte auf einer Ebene auch mir galten, dem Mittzwanziger, mit dem Ibsen zu dem Hund geworden ist, der er war, und der in seiner Liebe gesehen werden wollte, aber so oft dachte, er wäre falsch, wie er ist.

Oh Mann, das Leben, echt. So schön, und so traurig, und so schön.

Literaturnews:

– Ich moderiere jetzt den U20-Slam in Düsseldorf (zusammen mit Caro Baum, das nächste Mal am 01.04.). Das Team des zakk hat mich wundervoll aufgenommen und eingebaut, und ich freue mich, dass ich Teil der lokalen Szene sein darf.
– Meine Freundin und ich schreiben an einem Kinderbuch, was ich vor allem deshalb erwähne, damit ich den Druck habe, es fertigzustellen. Ich reime die Geschichte, sie illustriert. Sehr schöner Zeitvertreib.

– Nächste Auftritte: 21.04. Best of Poetry Slam in Herne, Flottmann-Hallen; 25. und 26.04. AÜW kultSlam in Kempten, kultBOX; 07.07. Poetry Slam Lindenberg, Open Air am Hutmuseum.

– Danke an alle, die meinem letzten Special Treat nachgekommen sind: Weit über 100 Bücher von „Benutz es!“, meinem Mittelkind, habe ich kurz vor Weihnachten signiert und verschickt. Das neue Buch kriegt immer am meisten Aufmerksamkeit, deshalb gibt es „Benutz es!“ weiterhin in großen Mengen zum Einkaufspreis, zum Ausgleich sozusagen. Ideal zum Verschenken oder für Schulklassen oder sonstige Gruppen.

Kunst, die ich in den letzten Monaten mochte:

– Die arte-Doku über den Kapitalismus, die sie noch mal überarbeitet haben (Mediathek und YouTube); sechs Teile à mindestens eine Stunde. Danach kann man erst mal ne Weile lang nichts mehr schauen, aber dann möchte man lesen und weiter verstehen – warum Adam Smith missverstanden wird, was die Industrielle Revolution gemacht hat, und wer eigentlich Karl Polanyi war. Von Letzterem lese ich gerade „The Great Transformation“, und ich weiß nicht, ob ich jemals etwas gelesen habe, das mir mehr Verständnis über die letzten 300 Jahre vermittelt hat. Calvin & Hobbes möglicherweise.

– „Freundliche Fanatiker“ von Pankaj Mishra, ein Essayband darüber, dass es auch außerhalb des Westens Denker:innen gibt, und eine reiche Geschichte. Darüber, dass viel von dem, was wir heute als extremistisch wahrnehmen, sich erst durch den Imperialismus Großbritanniens und der USA herausgebildet hat. Darüber, dass es immer mehrere Blickwinkel gibt, die es sich zu kennen lohnt.

– „Wie schön wir waren“ von Imbolo Mbue, einer kamerunischen Autorin, die über ein Dorf schreibt, das gegen einen internationalen Ölkonzern aufsteht; frustrierend und berührend und wunderschön. Wem gehört eigentlich Land, was für Möglichkeiten hat die Einzelne, etwas zu ändern, und wie viele Leoparden gibt es überhaupt noch? Toller Roman!

– „Luke and Jon“ von Robert Williams, ein kleines Buch über zwei Jugendliche in Nordengland; es geht um Trauer, um die Frage, wo und wie man wohnen möchte und sollte und darf, es geht um sehr viel Verständnis und um ein riesiges hölzernes Pferd auf einer abgelegenen Waldlichtung.

– Meine Playlists. Zu Beginn jeder neuen Jahreszeit erstelle ich meiner Freundin eine Playlist, weil ich damit ganz am Anfang angefangen habe und weil es wenige Dinge gibt, die ich lieber tue. Nach ein paar Tagen darf die aber Jede:r anhören. Es haben sich bisher genau zwei Bands wiederholt: the Mountain Goats (über die ich hier erstaunlich lange nicht mehr gesprochen habe) und unsere Freund:innen von Mackefisch, Lucie und Peter. Ansonsten sind auf den mittlerweile 9 Playlists 124 unterschiedliche Künstler:innen zu entdecken. Enjoy! (Frühling 2020, Sommer 2020, Herbst 2020, Winter 2020, Frühling 2021, Sommer 2021, Herbst 2021, Winter 2021, Frühling 2022)

Special Treat des Monats:
(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)

Ich hatte im März tatsächlich mal wieder zwei Auftritte und total Spaß daran. Und ich habe große Lust, das umzusetzen, was ich mir 2019, in präpandemischen Zeiten, vorgenommen habe, als ich in Rottweil war: Wohnzimmerlesungen. Jetzt wo wir alle geimpft sind und ein offenes Fenster nicht mehr zu Erfrierungen führt, würde ich gerne mal wieder ein paar Abende mit Lesen und Reden verbringen. Soll heißen: Wenn du ein Wohnzimmer hast oder jemanden kennst, der:die ein Wohnzimmer hat, oder eine Terrasse oder einen Garten oder eine Saunalandschaft mit Pool, dann lade deine Freund:innen und Familie ein, die Nachbarn und Dorfältesten und mich, und dann lese ich eine Stunde lang aus meinen Büchern, mache ein paar Slam-Texte, vielleicht nen kleinen Vorgeschmack aus dem Roman, worauf wir halt Lust haben, und anschließend tauschen wir uns aus und trinken was und genießen, dass es Literatur gibt. Das Angebot gilt vor allem bis Juni, denn so lange habe ich noch die BahnCard100. Gage brauche ich nicht. Nur je nach Ort und Tag einen Platz, um mich für die Nacht zusammenzurollen. Ich freue mich, wirklich, über deine Nachricht und einen gemeinsamen Abend und hoffe, dass ich sehr oft zusagen kann.

Ich freue mich, von dir zu hören und wünsche dir einen wunderbaren, sonnigen Tag!
Dein Alex

Rede zur Amtsübergabe an den neuen Rottweiler Stadtschreiber Valentin Moritz

Ich habe in meiner Abschiedsrede im Dezember 2019 gesagt:

Ich kann euch also nicht mit einem Gedicht über die Hochbrücke nach Hause schicken oder einem Krimi, der in den nebligen Winkeln um die Kapellenkirche herum spielt. Doch über alles, was ihr in Zukunft von mir hört – „Er hat endlich nen Roman geschrieben“, „Hier der neue Film, den du so gut findest: Das Drehbuch ist von ihm“, „Hast du gehört, der Alex wurde mit nem Kilo Kokain an der kolumbianischen Grenze erwischt“ – über alles, was meine Zukunft bringt, könntet ihr sagen: „Ohne Rottweil wäre das nicht passiert.“ Und ihr hättet recht.

Diejenigen von euch, die meinen Newsletter bekommen, wissen, wie viel seitdem passiert ist. Und Rottweil war der Anfang. Diese stolze Stadt hat mich mit meinem eigenen Stolz konfrontiert. Die Jugendlichen im Konvikt mit meiner eigenen Jugend. Die Größe des Testturms mit der Größe meines eigenen lassen wir das.

Hier konnte ich, zum ersten Mal seit ich von zu Hause ausgezogen bin, sein ohne mir Gedanken zu machen, woher die nächste Monatsmiete kommt. Und was über einen hereinbricht, wenn man sich erlaubt, loszulassen, zu entspannen, Kontrolle abzugeben, das ist enorm, aber ich kann es Jeder und Jedem nur empfehlen. Der Mensch, der ich in diesem Jahr geworden bin, der Mensch, der in den Spiegel schauen und sich voller ehrlich empfundener Selbstliebe anlächeln kann, der Mensch, der nicht mehr hauptberuflich Autor sein muss, der bin ich auch geworden, weil ich hier war.

Als ich vor knapp einem Jahr mit einem vielleicht elfjährigen Konviktor die Stufen des Konvikts hochgelaufen bin, fragte er: „Bist du ein Stadtschreiber?“ Ich antwortete: „Ja, ich bin der Stadtschreiber.“
„Was macht man da?“
„Ein bisschen schreiben. Aber ich muss nicht. Und ich bin bei den kulturellen Abenden der Stadt vor Ort.“ Ab und zu.
„Also wie ein Bürgermeister?“
„Nicht ganz so mächtig“, sagte ich und habe mich gefreut, dass gewisse Titel für manche Menschen keinerlei Bedeutung haben. Die Menschen in der Stadt grüßten mich hingegen meistens ausschließlich mit dem Titel und fragten dann, was man als Stadtschreiber macht. Als ob ich das wüsste.

Vielleicht kannst du, lieber Valentin, herausfinden, was genau ein Stadtschreiber macht. Du hast ja schon ein Aufenthaltsstipendium hinter dir, bist da erfahrener. Ich kann dir wenig Konkretes mitgeben, da ich nicht weiß, in welcher Situation du hier herkommst. Vielleicht sind wir sehr unterschiedlich, und du hörst gerne Andreas Gabalier und bist voll der Aufzugfan. Ich kann nur sagen, was Rottweil für mich so besonders gemacht hat: Die Spaziergänge aus Rottweil raus, nicht weil Rottweil nicht schön ist, sondern weil der Herbst in der Natur hier kopföffnend ist; der Kontakt zu den Menschen im Konvikt, der zu Jedem und Jeder im Haus anders sein wird; der wenige Kontakt zum Kulturreferat, nicht weil das Kulturreferat nicht schön ist, sondern weil die Zeit, die du für dich hast, herzöffnend ist.

Beim Bürgermeisterempfang sprach zu mir einst der Bürgermeister: „Sie können den Rottweilern ruhig den Spiegel vorhalten.“ In dem Moment habe ich beschlossen, alles zu tun, außer den Rottweilerinnen und Rottweilern den Spiegel vorzuhalten. Die Aussage des Bürgermeisters war der Spiegel, sie brauchten mich gar nicht. Es ist nicht leicht, sich von Erwartungen frei zu machen, und ich habe in meinem Prozess herausgefunden: Es waren nicht die Erwartungen des Bürgermeisters oder der lieben Menschen hier, sondern meine eigenen. Ich dachte: Ich muss hier was liefern, sonst bereuen sie, dass sie mich eingeladen haben. Lass dir gesagt sein: Auch wenn du keine Zeile über Rottweil schreibst, ja selbst wenn du keine Zeile schreibst, werden die Menschen dich mögen, und wirst du hier eine gute Zeit haben. Ich habe bis heute nichts geschrieben, was den monatlichen Geldeingang auf meinem Konto rechtfertigen würde.

Der einzige Tipp, den ich dir für dieses Stipendium geben kann, ist also: Lass alles los, nimm viele tiefe Atemzüge in der Herbstluft, und begegne den Menschen hier in erster Linie als Mensch, dann erst als Autor.

Was ein Stadtschreiber genau macht, weiß hier eh niemand. Ich wünsche dir eine wundervolle Zeit.

Abschiedsrede als Rottweiler Stadtschreiber

Ich war ein schlechter Stadtschreiber.

Von den 84 Tagen zwischen meiner Begrüßung und meiner Verabschiedung war ich nur an 22 Tagen komplett da.

Ich habe nur einen der drei vorgesehen Schulworkshops leiten können.

Ich habe zwei Hauslesungen absagen müssen und habe viele weitere gar nicht angenommen.

Ich war nicht im Dominikanermuseum und nicht im Forum Kunst.

Ich war nicht auf dem Weihnachtsmarkt bin auch den Testturm für Korkenzieher nicht hochgefahren.

Ich bin in der Pause von Nathan der Weise gegangen, weil ich noch mit meiner Freundin telefonieren wollte. Die Quittung dafür habe ich am nächsten Marktsamstag bekommen, als mich drei Leute fragten, was da los gewesen sei.

Ich habe ganz wenig über Rottweil gesprochen und geschrieben, obwohl ich schon nach zwei Tagen gemerkt habe, dass das das schlimmste ist, was man einem Rottweiler antun kann.

Sogar diese Rede habe ich erst heute Vormittag verfasst. Auch wenn sie schon lange in mir war.

Ich wurde gut aufgenommen. Ich habe einen Konviktspulli geschenkt bekommen und einen neuen Bildband über Rottweil, der alles, was hinter der Hochbrücke kommt, als „um Rottweil herum“ beschreibt. Und ich habe in meinen ersten zwei Tagen hier so viele Superlative über Rottweil um die Ohren gehauen bekommen, dass ich selbst gar keine mehr entdecken konnte. Aber ich habe mich bemüht und ein paar gefunden, die in keiner Bürgermeisterrede und keinem Bildband erwähnt sind. Rottweil hat

  • die höchste Dichte an ungenutzten Dachgauben nördlich von Bern
  • das möglicherweise trichterförmigste Gleisbett Süddeutschlands
  • die verschworenste und am Elitärsten sich gebärende Saunagemeinschaft der Welt
  • die höchste Zebrastreifendichte in einem Stadtzentrum nördlich von Gaborone
  • die zentraleuropäischsten Städtepartnerschaften im deutschsprachigen Raum
  • das größte Altstadt-vs.-mittelalterliche-Stadt-Verwirrpotenzial Deutschlands
  • die höchste Frequenz der Erwähnung der eigenen Superlative nach Zlatan Ibrahimovic

Eine Bekannte erzählte mir gestern, dass sie sich auch nach einem halben Jahrhundert in Rottweil noch als Neigschmeckte sieht und gesehen wird. Und ihr werdet am nächsten Marktsamstag darüber reden, wer das wohl war. Auch ich bin in den drei Monaten kein Rottweiler geworden. Ich wurde in den seltensten Fällen mit meinem Namen angesprochen, sondern stets nur mit „Ach, das ist doch der Stadtschreiber“. Also habe ich es gar nicht groß versucht, sondern viel mehr von außen auf die Stadt geschaut, ganz wörtlich: Ich war auf dem Oberhohenberg, bin um Dietingen gelaufen und bis nach Schwenningen, bin permanent im Neckartal und in der Au unterwegs gewesen. Ich habe das gemacht, was ich zu Hause auch mache, was vielleicht das größte Kompliment ist, das ich einer Stadt machen kann.

Ungefähr nach der Hälfte der Zeit hier hat meine Freundin Schluss gemacht. Rückblickend hätte ich Nathan der Weise also zu Ende schauen können. Die ersten vier Wochen, in denen ich fast durchgehend hier war, haben ihr klar gemacht, wie wenig sie es vermisst, nach Hause zu kommen zu jemandem, dem es lange Zeit des Jahres absolut nicht gut ging. Und der das leider zu oft an der Beziehung rausgelassen hat. Wie schwer es oft war, eine Verbindung zueinander zu finden, wenn ich nur am Wochenende daheim war. Dabei ging es mir zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr so schlecht. Denn die ersten vier Wochen, in denen ich fast durchgehend hier war, haben mir klar gemacht, wie wenig ich es vermisse, permanent unter Stress zu stehen, mir selbst unmenschlich viel Druck zu machen. Die Spaziergänge und die hier erlebte Wertschätzung für meine Kunst haben einiges in mir in Gang gebracht, das sich jahrelang nicht zeigen durfte. Ich war ein schlechter Stadtschreiber, vielleicht, aber ich war ein guter Stadtlerner. Ich habe in den letzten drei Monaten gelernt, was für ein Mensch ich sein möchte, was mir wirklich wichtig ist, wo ich künstlerisch hin möchte, ich habe mein schönes, verletztes Inneres erforscht, habe mir erlaubt zu fühlen, statt immer nur zu denken, ich habe mich in einen Zustand der bedingungslosen Liebe hineinmeditiert und meine Umwelt derart in positive Schwingung versetzt, dass mir das Konvikt einen unbefristeten Vertrag als Maskottchen angeboten hat.

Überhaupt das Konvikt. Als ich vor zwei Wochen für die letzte Phase nach Rottweil gekommen bin, nach drei Wochen Abwesenheit, in denen ich von einer Couch zur nächsten gezogen bin, versucht habe, meine Trauer zuzulassen, gleichzeitig meinen neuen, positiven Weg weiterzugehen, mir klar zu werden, wo es weitergehen soll, eine neue Wohnung zu finden, in denen ich Auftritte hatte, mit meiner einstigen Freundin gesprochen und geweint habe – als ich also vor zwei Wochen wiederkam, in mein Zimmer, dachte ich: Wie schön, dass es sich hier immer noch vertraut anfühlt.

Ich möchte niemanden aus dem Personal hervorheben, denn sie alle haben mir vom ersten Moment nichts als Zuneigung und Verständnis entgegengebracht und dafür danke ich ihnen.

Genauso wie allen anderen, denen ich die letzten drei Monate begegnet bin. Ob Yogalehrerin, Stadtführer, Kulturamtsmenschen, Kabarett-Rentner, Apothekerin, Schreibwerkstattheldinnen, Taxifahrer aus Balingen (long story) und so viele Zuhörende in den Wohnzimmern und im Schwarzen Lamm. Die Stadt war nett, die Menschen in der Stadt waren wundervoll.

Nicht zuletzt ein Dankeschön an alle Schülerinnen und Schüler im Konvikt, mit denen ich Essensraum, Bowlingbahn und teilweise das Bad geteilt habe. Alle, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, sind warme, liebevolle, unsichere, aber so wertvolle Menschen. Ich wünsche ihnen allen, dass sie das in ihrem Leben noch oft gesagt und gezeigt bekommen, vielleicht auch ab und zu von sich selbst.

Mein Vorgänger Thomas Perle hat im September gesagt, dass ich viel über mich lernen würde. Das stimmt. Er hat mir auch gesteckt, dass im Konvikt auf den Zimmern geheime Rap-Battles stattfinden. Ob das stimmt, fragt ihr mich jetzt?

Was hier im Konvikt passiert, das bleibt im Konvikt
Bruder, was hier abgeht, das ist heiß wie Pommes frittes,
doch das schreib ich nicht mit. „Ein Beweis wär schon schick!“
Also gut, dann wirst du jetzt auf eine Reise geschickt!

Oberhalb des Neckars und von Mauern geschützt
lebt eine Gemeinschaft, die Vertrauen benützt
„Das heißt benutzt“ Ist egal Mann, fiel mir grade nicht ein
An manchen Tagen fühlst du dich hier fahl und allein
Doch wir sind ne Familie wie beim Paten, kapiert?
Uns’re Trinkgewohnheit ha’m wir von Piraten kopiert
Sprich sehr wenig, nur am Wochenend‘ in Maßen das Bier
Wir ha’m uns das nicht ausgesucht, doch jetzt sind wir hier.

Von der Fünften bis zur Zwölften, aus B/W und der Schweiz
haben wir fast alle Lebensformen dabei
Und beherrschst du nicht alles, was ein Rausschmeißer kann
Leg dich lieber nicht mit uns’rem Hausmeister an

Die Wände sind so dünn, dass ich alles hier hör
und gleichzeitig zu dick für normales Wlan, ich schwör
Wenn du glaubst, der Router schafft das, ja dann kennsch ’n schlecht
Ich geh nach Genf, Digger, Internet ist Menschenrecht

Du find’st dein bürgerliches Leben tough?
Du fühlst dich fehl am Platz, wenn du dir Pläne machst
und es im Urlaub einfach wieder nicht nach Schweden schaffst
Aufsteh’n musst du meistens schon um zehn nach acht
Bitte verzeih mir, dass ich über deine Rede lach
Dass du nicht weißt, was hart ist, habe ich mir eh gedacht
Du bist Tagesschüler, ich verbring hier jede Nacht!
Heut bin ich jäh erwacht, dabei war es ein guter Traum
Ich war Besitzer eines Schlüssels zum Computerraum

Wenn du nachts rausmusst, machst du Licht, du bist nicht tight, Digger. Mann:
Wenn ich aufs Klo muss schaut mich aus dem Dunst ein Heiliger an
so eilig ich kann geh ich vorbei, will nicht stören
Du bist auch mutig? Ich kann dich nicht hören.
Du duschst bei Mutti. Ich dusche mit Sören!

Alter, wir leben in verschiedenen Welten
wie Delfine und Welpen
oder Diebe und Elfen
Deine Family isst auswärts, geht ins Restaurong
Ich steh im Speisesaal und warte auf den Essensgong
Und nachdem ich hier die Spannkraft meines Bauchs entdecke
Geht es erstmal ganz gediegen in die Raucherecke
Du hast Angst, dass ich mal an diesem Brauch verrecke
und nach Jauche schmecke?
Du hast Angst, dass sich irgendwann die Drogen rächen?
Du kannst gerne mal mit meinem Pädagogen sprechen

Du bist stylisch, weil du dir ein rosa Polo kaufst?
Internats-Style – ich trage Bordeaux, du Lauch

Also, so würde ich das machen … Aber ich war nie eingeladen …

Ich habe keinen lobpreisenden Text über Rottweil geschrieben. Vielleicht gerade weil ich hier einfach gelebt habe, aufgehört habe, alles analysieren zu wollen. Angefangen habe, loszulassen. Ich habe von Rottweil definitiv mehr bekommen als Rottweil von mir bekommen hat.

Ich kann euch also nicht mit einem Gedicht über die Hochbrücke nach Hause schicken oder einem Krimi, der in den nebligen Winkeln um die Kapellenkirche herum spielt. Doch über alles, was ihr in Zukunft von mir hört – „Er hat endlich nen Roman geschrieben“, „Hier der neue Film, den du so gut findest: Das Drehbuch ist von ihm“, „Hast du gehört, der Alex wurde mit nem Kilo Kokain an der kolumbianischen Grenze erwischt“ – über alles, was meine Zukunft bringt, könntet ihr sagen: „Ohne Rottweil wäre das nicht passiert.“ Und ihr hättet recht. Und vielleicht macht mich das doch zu einem würdigen Stadtschreiber.

Danke für die schöne Zeit.