Newsletter #15 – Nicht die Fassungen verlieren

Liebe Lesende,

gerade habe ich den zweiten Teil der zweiten Fassung meines Romanmanuskripts fertig gestellt. Ich dachte, das ist ein guter Zeitpunkt, um mich mal wieder bei dir zu melden. Ich hoffe, es geht dir gut in dieser Frühsommerhitze. Als ich Mitte Mai am Rhein saß und es zum ersten Mal in diesem Jahr nicht regnete, habe ich beschlossen, mich in den nächsten Monaten nicht über Sonne zu beschweren, was ich hiermit durchhalte. Mit geschlossenen Rollos und Fenstern. Und viel Eis.

Drei Monate vorher habe ich beschlossen, das Romanprojekt dieses Jahr abzuschließen. Ungefähr zur selben Zeit hat meine Frau beschlossen, dass sie ab nächstem Jahr nichts mehr von dem Buch hören will, es sei denn, es geht konkret um eine Veröffentlichung. Das eine hatte mit dem anderen natürlich gar nichts zu tun. Sie hatte jedoch Recht: Die früheste Datierung des Stoffs stammt aus 2014. 2015 und 2016 habe ich zwei Fassungen geschrieben, die mit „unbedarfter Versuch“ freundlich umschrieben sind, dann lag alles ein paar Jahre rum, Anfang 2020 habe ich es als Drehbuch wieder aufgegriffen, dann als Projekt für die Bayerische Akademie des Schreibens. Von dem, was ich dort eingereicht habe, sind nur noch wenige Szenen vorhanden, der Stoff hat sich noch mal komplett gedreht, die Figuren begannen, mir zu erzählen, was da eigentlich los war mit ihnen und mir, ich musste diverse Sachen in meinem eigenen Leben anschauen und lösen, letzten Sommer schrieb ich die neue erste Fassung, dann lag alles wieder, und nun, schließlich, seit dem Frühling, schreibe ich konstant und gut und so, dass ich richtig glücklich bin damit. Nicht nur mit dem Manuskript, sondern damit, dass ich schreibe. Von 2014 ist nur der Nachname der Hauptfigur geblieben und die Tatsache, dass sie zwischendurch in einem Bio-Supermarkt arbeitet. We have come a long way.

Anfang letzter Woche habe ich ChatGPT dann ein Exposé schreiben lassen, das meine Frau besser fand als das, was ich aufgesetzt hatte. Wir trafen uns irgendwo in der Mitte, und seitdem haben einige Agenturen E-Mails erhalten, und jetzt warte ich mal, ob etwas zurück kommt die nächste Zeit. Parallel dazu schreibe ich den dritten Teil fertig, so dass ich dieses Jahr auf jeden Fall ein komplettes Manuskript habe, und falls keine Agentur und kein Verlag findet, dass es gut ist, kann ich es trotzdem stolz und überzeugt gehen lassen, weil es mich dermaßen hat wachsen lassen als Künstler, dass ich richtig Bock habe, weiterzumachen.

Apropos weitermachen.


Newsletternews:

– Die Stützen der Gesellschaft sind zurück! Es ist eigentlich kaum zu fassen, aber Fee, Frank Klötgen, Sven Kemmler und ich haben gemeinsame Termine gefunden und werden endlich, ENDLICH mal wieder zusammen auf der Bühne stehen. Ich habe die Abende mit den Dreien mehr vermisst, als ich – heute noch ohne Eis – ausdrücken kann. Am 02.10. spielen wir im Fraunhofer Theater in München, am 03.10. im Kulturboden in Lindenberg. Mark the dates, bring your friends!

– In Düsseldorf ist der „Abend mit Goldrand“ zu meinem Lesebühnentermin geworden. Im November mit Bernard Hoffmeister, Aylin Celik und, nun ja, Frank Klötgen geründet, konnten wir unsere Besuchendenzahl innerhalb einer Ausgabe von 15 auf 80 steigern und rechnen zur nächsten Veranstaltung entsprechend damit, dass wir in die große Halle des zakk ausweichen müssen. Einer unserer Beiträge muss literarischen Düsseldorf-Bezug haben, bei der letzten Show habe ich einen Text über Rose Ausländer gelesen, nach dem es ganz still war. Nächste Ausgabe am 27.06. im zakk.

– Vorher, nämlich schon dieses Wochenende werde ich zusammen mit Pierre Jarawan mal wieder eine Stadt, Land, Fluss-Show spielen (shout out an alle, die uns noch in München erlebt haben!). Die ist aber leider nicht öffentlich und findet sozusagen in internationalen Gewässern statt, nämlich auf einem Schiff auf dem Rhein zwischen Nijmegen und Köln. Wollte ich trotzdem teilen.

– Ich bin eingeknickt und wieder auf Instagram zu finden. Ich habe diesen Newsletter begonnen, weil ich Social Media oft nicht aushalte, aber ich habe zu wenig davon mitbekommen, was meine befreundeten Künstler:innen so taten. Deshalb die Rückkehr. @alex.burkhard.literatur, if you’re interested.


Die nächsten Auftritte in der Übersicht:

18.06. • Bonn • Pantheon • Poetry Slam
26.06. • Düsseldorf • Stadtstrand Tonhallenufer • Poetry Lounge (Open Air)
27.06. • Düsseldorf • zakk • Abend mit Goldrand
02.10. • München • Fraunhofer TheaterDie Stützen der Gesellschaft
03.10. • Lindenberg i. Allgäu • KulturfabrikDie Stützen der Gesellschaft
07.11. • Kempten (Allgäu) • kultBOXAÜW kultSlam (Moderation)
… und 2024 dann ganz viele Lesungen mit dem neuen Buch, hihi!


Bücher, die mich in letzter Zeit begeistert haben:

– „A Psalm for the Wild-Built“ von Becky Chambers. Tee-Mönch trifft auf Roboter, der nach Jahrhunderten der Trennung herausfinden möchte, was die Menschen brauchen. Meine Frau sneakt seit Jahren immer wieder Fantasy in meinen Bücherstapel, und die Monk-and-Robot-Reihe von Chambers gefällt mir wirklich sehr. „Cozy Fantasy“ nennt meine Frau das, was ich mag, und das ist okay. Eines von drei (!) Büchern in meiner Excel-Tabelle der gelesenen Bücher (denn natürlich habe ich so was, ich Cozy-Fantasy-Leser), die eine glatte 10 bekommen haben. Einfach, weil ich mich von vorne bis hinten so sauwohl und glücklich gefühlt habe beim Lesen. Sibling Dex, die Hauptfigur, ist darüber hinaus ein toll gelungenes Beispiel für genderneutrales Erzählen im Englischen.

– Das nächste 10-er Buch gleich hinterher: „A Swim in a Pond in the Rain“ von George Saunders. Saunders‘ Schreibseminar über russische Kurzgeschichten und deren Verfasser in Buchform und gleichzeitig das beste, was ich jemals zum Thema Texte schreiben gelesen habe. Danach wollte ich nichts anderes mehr tun. (Auch gut, aber keine 10, war Stephen Kings „On Writing“, da ging es natürlich mehr um lange Textformen und Schreibroutinen und so. Sowie Terezia Moras „Nicht sterben“, wo ich viel darüber gelernt habe, wie Persönliches in die Literatur kommt, ohne dass man direkt autobiografisch schreibt.)

– Grit Krüger: „Tunnel“. Grit ist die erste aus unserem Jahrgang der Bayerischen Akademie des Schreibens, die ihr Projekt veröffentlicht hat. Grits Debüt ist im März im Kanon Verlag erschienen und ich mag es sehr. Natürlich auch deshalb, weil ich es seit zwei Jahren begleiten durfte, aber auch deshalb, weil ihre Sprache besonders ist und ihre Themen nah.

– Weitere Buchhighlights aus meinem Frühjahr: Maeve Higgins: „Maeve in America, e. lockhart: „we were liars“, Frances Hardinge: „Fly by Night“, Marieke Lucas Rijneveld: „The Discomfort of Evening“, Martin McDonagh: „The Pillowman“ (!), Paul Valéry: „Ich grase meine Gehirnwiese ab“, Francoise Sagan: „Chamade“ und good old B. Traven, dessen Titel immer billige Kitsch-Literatur und leere Abenteuerromane erwarten lassen, dessen Inhalte aber mit die sozialistischsten und solidarischsten sind, die ich – vor allem aus den 1920ern und 1930ern – kenne


Special Treat des Monats:
(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)


Ich habe noch eine halbe Stunde Schreibzeit, bis der Timer abläuft und mein Tagesplan „Wohnung“ sagt und dann „Mittagessen“. Ich habe gemerkt, dass das Alltag bestreiten bei mir gut funktioniert, wenn ich mir morgens minutengenau aufschreibe, wann ich was mache. Keine To-do-Liste, sondern eine When-to-do-what-Liste. Erstere lähmt mich, weil ich so viel zu tun habe. Letztere befreit mich, weil ich genug getan habe. Weil alles Platz hat. Heute steht auch „Pause“ an und „Softball spielen“ und vor allem „Eis essen“, aber eben auch „schreiben“ und „Wohnung“. Alles gehört dazu, und ich habe endlich nicht mehr das Gefühl, dass ich von allem zu wenig gemacht habe und noch mehr tun könnte, wenn ich abends ins Bett gehe. Ich habe genau so viel gemacht, wie ging und gut war. Und so komme ich Schritt für Schritt voran und genieße meine Tage.

Das wird nicht ewig so gehen, das ist auch klar. Aber für diesen Sommer, für diese Phase des Manuskriptschreibens, geht es.

Ich wünsche dir, dass etwas geht. Dass dich diese Nachricht wohlbehalten findet, und dass du Freude beim Lesen hattest.

Bis bald!

Dein Alex


PS: Sorry für den Betreff