Liebe Interessierte,
zunächst möchte ich die vielen Freiburgerinnen und Freiburger, die Menschen aus Wangen, Rottweil und Lindenberg in unserer Mitte begrüßen. Herzlich willkommen, schön, dass ihr mitlest!
Ich schreibe diese Mail von meinem Schreibtisch in Rottweil, wo ich seit Dienstag als Stadtschreiber tätig bin. „Was macht man als Stadtschreiber?“, wurde ich in den Interviews vorher und bei der Begrüßung gefragt, und meine Antwort ist: „Lernen.“ Und vielleicht ein bisschen was schreiben. Und mich mit dem Ort beschäftigen, an dem ich jetzt drei Monate lang mit kleinen Unterbrechungen leben werde.
Mit
zwei anderen Orten habe ich mich das ganze Jahr schon beschäftigt: Mit
dem übervollen München und ob meine Freundin Anja und ich dort bleiben
können und wollen, und mit der neuen Wohnung in Esslingen, unter der Tag
(Eisdiele) und Nacht (Guys-Spiele) Betrieb ist. Die Wohnung ist
wunderschön, aber Fachwerk ist nicht für Menschen über 1,75m gemacht.
Esslingen ist wunderschön, aber nicht für linksintellektuelle Literaten
gemacht. Aus zehn Jahren München habe ich mich rausgerissen, nach sechs
Monaten Esslingen bin ich nicht angekommen: Ich fühlte mich zuletzt sehr
oft, als wäre ich am falschen Ort.
Dann hörte ich eine Folge des
Mountain Goats-Podcasts, den ich das letzte Mal empfohlen habe, und John
Darnielle, Joseph Fink und Amanda Palmer unterhielten sich über Orte.
„A place is not good or bad, a place is who you were when you went
there“, sagte Joseph Fink, und John Darnielle ergänzte: „There is no
place that you can live that isn’t awesome if you are willing to invest
yourself in it and find out what’s awesome.“ Der Gedanke, dass man sein
Leben komplett reparieren kann, wenn man nur da und dort hinzieht,
funktioniert nicht, „because wherever you go, there you are.“ Wenn ich
nur München mit seinen aggressiven Autos, den vollen U-Bahnen und der
Wiesn hinter mir ließe, würde alles gut werden, redete ich mir die
letzten Jahre oft ein. Doch lärmende Fußgänger, ausfallende S-Bahnen und
der Wasen sind auch nicht besser. Es liegt an mir und meiner
Bereitschaft, dass ich mich schwer auf Orte einlassen konnte.
Letzte Woche waren wir in Esslingen erstmals (!) mit zwei Freund*innen in einer Bar. Ich könnte anführen, dass es nicht wahnsinnig viele entspannte Bars in Esslingen gibt, oder dass die drei Menschen, die wir hier kennen, selten Zeit haben, aber das wären Ausflüchte: Ich wollte es hier bisher oftmals nicht schön finden. Einen Tag später bin ich 30 Kilometer durch die Wälder und Streuobstwiesen spaziert und bei Göppingen wieder in den Zug zurück gestiegen. Ich war völlig fertig, aber glücklich über die Farben und Geräusche und Tiere. Den Muskelkater habe ich mir am nächsten Tag wegmassieren lassen, weil ich von meinem Freund Philipp Herold gelernt habe, dass wir achtgeben müssen, dass unser Körper das alles mitmacht: „Du bist 31 und reist das ganze Jahr in unbequemen Schalensitzen durch das Land und sitzt am Schreibtisch. Gönn dir regelmäßig eine Massage!“ München hat viele Bars und das Vereinsheim vermisse ich wirklich sehr. Man ist auch dort recht schnell im Grünen, und kann sich massieren lassen. Genauso wie in Freiburg oder Wangen oder Lindenberg. Diese Dinge sind nicht Kennzeichen eines bestimmten Ortes, sondern einer Haltung, eines Achtens darauf, was einem guttut und wie man seine Tage verbringen möchte.
An meinem zweiten Tag in Rottweil bin ich sechs Stunden spazieren gegangen, ein Besucher des Empfangs bot mir an, mir die Bars der Stadt zu zeigen, und nach einem weiteren Tag hatte mir eine Yogalehrerin einen Platz in ihrem Kurs angeboten. Es geht schnell, wenn man es zulässt. Natürlich ist es okay, dass ich meine Freundinnen und Freunde in München unheimlich vermisse. Natürlich fehlt mir mein Hund Ibsen, der in München bei fantastischen Menschen geblieben ist, sehr. Natürlich ist die künstlerische Grundatmosphäre in meinen Kreisen in München etwas, das mir gut tun würde. Aber so lange ich wo anders bin, kann ich genauso gut das, was mir wichtig ist, an diesen Orten suchen!
Tatsächliche Neuigkeiten im Neuigkeitenbrief:
– Meine geliebte Münchner Lesebühne „Die Stützen der Gesellschaft“ wird ab 2020 in der Lach- und Schießgesellschaft stattfinden, worauf ich mich sehr freue. Außerdem werden wir pro Jahr zwei Gastspiele in der Monacensia haben. Alles neu also, nur die Besetzung nicht: Frank Klötgen, Sven Kemmler, Fee und Katrin Freiburghaus. Und ich.
– Halbneu: Auf YouTube gibt es jetzt eine Playlist mit allen Liedern der ersten EP meiner Band „The Baby and the Dog“. Sogar mit den jeweiligen Lyrics. Und zwar hier: The Bookstore Is Closed. Weiterhin poste ich jede Woche ein Video eines Texts aus meinem neuen Buch, also abonniert den Kanal gerne, falls ihr ein YouTube-Konto habt.
–
Diese Woche erschien das erwähnte neue Buch, „Was ich ihr nicht
schreibe“. Es ist superschön geworden! Gerade die zweite Hälfte des
Buchs mit vielen Texten in einem persönlichen nonfictional style gefällt
mir supergut. Einen der neuen Texte könnt ihr euch hier direkt anschauen, für einen kleinen Eindruck.
Das Buch könnt ihr beim Satyr Verlag bestellen oder bei meiner Münchner Lieblingsbuchhandlung,
die es auch gerne verschickt. Oder in jeder anderen Buchhandlung. Oder
bei mir in einer Antwort auf diese Mail, dann schreib ich euch auch was
rein!
Kunst, an der ich in den letzten Wochen Freude hatte:
– „Alte Sorten“ von Ewald Arenz (Dumont Verlag); eine 17-Jährige haut aus der Klinik ab und trifft auf eine 59-Jährige und ihren Hof in Mainfranken. Die Art, wie sich die Beziehung der beiden entwickelt, erinnert mich an meinen Lieblingsfilm Nothing Personal; hier geht es um Wein, Birnen, die Vergangenheit, körperliche Arbeit und Vertrauen. Arenz kommt mit sehr wenigen Figuren aus und hat einen der ersten Romane geschrieben, in dem das Thema psychische Krankheit zwar einmal erwähnt, aber nicht stigmatisiert wird. Es geht um die beiden Menschen, ganz wenig um irgendwelche Etiketten. Das macht das Buch sehr lesenswert und wertvoll, wie ich finde.
– „Scheize. Liebe.
Sehnsucht“, eine Ausstellung von Ragnar Kjartansson, die noch bis Mitte
Oktober im Kunstmuseum Stuttgart läuft. Ragnar ist ein isländischer
Performance-Künstler, und seine Videoinstallationen und seine Musik sind
so tiefgehend und schön, dass ich seit drei Wochen jeden Tag die Verse
im Kopf habe. Beim Wandern um Esslingen habe ich gefühlte sechs Stunden
immer wieder „There are stars exploding around you / and there’s
nothing, nothing you can do“ gesungen. Ragnar setzt auf Wiederholung und
ultralange Performances. Die Installation „The Visitors“, in der eine
Gruppe Musiker*innen aus Reykjavík in unterschiedlichen Räumen einer
riesigen Villa steht und gemeinsam ein Lied spielt, dauert über eine
Stunde, und meine Freundin Anja und ich saßen in dem Raum und haben sie
fast zwei Mal angeschaut, weil sie uns (vor allem mich, glaube ich) so
in ihren Bann gezogen hat. Ich werde auf jeden Fall noch mal rein, weil
wir nur eine der drei Etagen geschafft haben beim ersten Besuch. Es gibt
noch eine 6-Stunden-Installation, in der er und die Band The National
im MoMA immer wieder deren Lied „Sorrow“ spielen. 6 Stunden, das selbe
Lied. Mal schauen, wie lange ich da drinsitzen werde. Aber Wiederholung
ist unheimlich meditativ und befreit. Solltet ihr demnächst in Stuttgart
sein oder Umstiegszeit haben oder einfach Bock auf Kunst haben, schaut
euch die Ausstellung an! Für alle anderen gibt es hier einen okayen Mitschnitt von „The Visitors“ auf YouTube. „Once again I fall into my feminine ways …“
–
Anja hat mir letztens einen Film gezeigt, den ich bis dato noch nie
gesehen hatte. „Star Wars“. Keine Ahnung, ob euch das was sagt.
Zukunftsdystopie mit ein paar Held*innen und komischen Weltraumwesen.
Ganz witzig.
Bühnen, die ich in den nächsten Wochen bespielen darf:
– Am 27.09. ist Slam in Wiesloch. Ja.
– Am 14.10. lese ich in Lindenberg aus „Was ich ihr nicht schreibe“, und zwar in der Buchhandlung Netzer.
– Am 15.10. sind das nächste Mal Die Stützen der Gesellschaft mit meiner Beteiligung, und eine der letzten Shows im Fraunhofer Theater. Karten gibt es beim Fraunhofer Theater oder an der Abendkasse, ebendort.
–
Am 18. (abends) und 19.10. (vormittags) bin ich in diversen Auftritten
bei der Frankfurter Buchmesse vertreten, außerdem hänge ich am
Satyr-Stand rum. Besucht mich 🙂
– Am 19. und 20.10. schließlich die
letzten beiden Ausgaben meines Kabarett-Programms „Man kennt das ja“, in
Norden und St. Ingbert. Falls ihr eine kleine Reise machen wollt. Oder
jemanden kennt, der oder die dort lebt.
– Am 24.10. lese ich im Schwarzen Lamm in Rottweil aus „Was ich ihr nicht schreibe“.
Special Treat des Monats:
(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)
Wie immer freue ich mich über Antworten, Anregungen, Geldspenden und Liebe. Ich wünsche euch einen schönen Beginn des Herbsts, viele Pilze und eine ausgeglichene Zeit. Und vergesst nicht: Wherever you go, there you are.
Bis zum nächsten Mal,
Alex