Rede zur Amtsübergabe an den neuen Rottweiler Stadtschreiber Valentin Moritz

Ich habe in meiner Abschiedsrede im Dezember 2019 gesagt:

Ich kann euch also nicht mit einem Gedicht über die Hochbrücke nach Hause schicken oder einem Krimi, der in den nebligen Winkeln um die Kapellenkirche herum spielt. Doch über alles, was ihr in Zukunft von mir hört – „Er hat endlich nen Roman geschrieben“, „Hier der neue Film, den du so gut findest: Das Drehbuch ist von ihm“, „Hast du gehört, der Alex wurde mit nem Kilo Kokain an der kolumbianischen Grenze erwischt“ – über alles, was meine Zukunft bringt, könntet ihr sagen: „Ohne Rottweil wäre das nicht passiert.“ Und ihr hättet recht.

Diejenigen von euch, die meinen Newsletter bekommen, wissen, wie viel seitdem passiert ist. Und Rottweil war der Anfang. Diese stolze Stadt hat mich mit meinem eigenen Stolz konfrontiert. Die Jugendlichen im Konvikt mit meiner eigenen Jugend. Die Größe des Testturms mit der Größe meines eigenen lassen wir das.

Hier konnte ich, zum ersten Mal seit ich von zu Hause ausgezogen bin, sein ohne mir Gedanken zu machen, woher die nächste Monatsmiete kommt. Und was über einen hereinbricht, wenn man sich erlaubt, loszulassen, zu entspannen, Kontrolle abzugeben, das ist enorm, aber ich kann es Jeder und Jedem nur empfehlen. Der Mensch, der ich in diesem Jahr geworden bin, der Mensch, der in den Spiegel schauen und sich voller ehrlich empfundener Selbstliebe anlächeln kann, der Mensch, der nicht mehr hauptberuflich Autor sein muss, der bin ich auch geworden, weil ich hier war.

Als ich vor knapp einem Jahr mit einem vielleicht elfjährigen Konviktor die Stufen des Konvikts hochgelaufen bin, fragte er: „Bist du ein Stadtschreiber?“ Ich antwortete: „Ja, ich bin der Stadtschreiber.“
„Was macht man da?“
„Ein bisschen schreiben. Aber ich muss nicht. Und ich bin bei den kulturellen Abenden der Stadt vor Ort.“ Ab und zu.
„Also wie ein Bürgermeister?“
„Nicht ganz so mächtig“, sagte ich und habe mich gefreut, dass gewisse Titel für manche Menschen keinerlei Bedeutung haben. Die Menschen in der Stadt grüßten mich hingegen meistens ausschließlich mit dem Titel und fragten dann, was man als Stadtschreiber macht. Als ob ich das wüsste.

Vielleicht kannst du, lieber Valentin, herausfinden, was genau ein Stadtschreiber macht. Du hast ja schon ein Aufenthaltsstipendium hinter dir, bist da erfahrener. Ich kann dir wenig Konkretes mitgeben, da ich nicht weiß, in welcher Situation du hier herkommst. Vielleicht sind wir sehr unterschiedlich, und du hörst gerne Andreas Gabalier und bist voll der Aufzugfan. Ich kann nur sagen, was Rottweil für mich so besonders gemacht hat: Die Spaziergänge aus Rottweil raus, nicht weil Rottweil nicht schön ist, sondern weil der Herbst in der Natur hier kopföffnend ist; der Kontakt zu den Menschen im Konvikt, der zu Jedem und Jeder im Haus anders sein wird; der wenige Kontakt zum Kulturreferat, nicht weil das Kulturreferat nicht schön ist, sondern weil die Zeit, die du für dich hast, herzöffnend ist.

Beim Bürgermeisterempfang sprach zu mir einst der Bürgermeister: „Sie können den Rottweilern ruhig den Spiegel vorhalten.“ In dem Moment habe ich beschlossen, alles zu tun, außer den Rottweilerinnen und Rottweilern den Spiegel vorzuhalten. Die Aussage des Bürgermeisters war der Spiegel, sie brauchten mich gar nicht. Es ist nicht leicht, sich von Erwartungen frei zu machen, und ich habe in meinem Prozess herausgefunden: Es waren nicht die Erwartungen des Bürgermeisters oder der lieben Menschen hier, sondern meine eigenen. Ich dachte: Ich muss hier was liefern, sonst bereuen sie, dass sie mich eingeladen haben. Lass dir gesagt sein: Auch wenn du keine Zeile über Rottweil schreibst, ja selbst wenn du keine Zeile schreibst, werden die Menschen dich mögen, und wirst du hier eine gute Zeit haben. Ich habe bis heute nichts geschrieben, was den monatlichen Geldeingang auf meinem Konto rechtfertigen würde.

Der einzige Tipp, den ich dir für dieses Stipendium geben kann, ist also: Lass alles los, nimm viele tiefe Atemzüge in der Herbstluft, und begegne den Menschen hier in erster Linie als Mensch, dann erst als Autor.

Was ein Stadtschreiber genau macht, weiß hier eh niemand. Ich wünsche dir eine wundervolle Zeit.

Abschiedsrede als Rottweiler Stadtschreiber

Ich war ein schlechter Stadtschreiber.

Von den 84 Tagen zwischen meiner Begrüßung und meiner Verabschiedung war ich nur an 22 Tagen komplett da.

Ich habe nur einen der drei vorgesehen Schulworkshops leiten können.

Ich habe zwei Hauslesungen absagen müssen und habe viele weitere gar nicht angenommen.

Ich war nicht im Dominikanermuseum und nicht im Forum Kunst.

Ich war nicht auf dem Weihnachtsmarkt bin auch den Testturm für Korkenzieher nicht hochgefahren.

Ich bin in der Pause von Nathan der Weise gegangen, weil ich noch mit meiner Freundin telefonieren wollte. Die Quittung dafür habe ich am nächsten Marktsamstag bekommen, als mich drei Leute fragten, was da los gewesen sei.

Ich habe ganz wenig über Rottweil gesprochen und geschrieben, obwohl ich schon nach zwei Tagen gemerkt habe, dass das das schlimmste ist, was man einem Rottweiler antun kann.

Sogar diese Rede habe ich erst heute Vormittag verfasst. Auch wenn sie schon lange in mir war.

Ich wurde gut aufgenommen. Ich habe einen Konviktspulli geschenkt bekommen und einen neuen Bildband über Rottweil, der alles, was hinter der Hochbrücke kommt, als „um Rottweil herum“ beschreibt. Und ich habe in meinen ersten zwei Tagen hier so viele Superlative über Rottweil um die Ohren gehauen bekommen, dass ich selbst gar keine mehr entdecken konnte. Aber ich habe mich bemüht und ein paar gefunden, die in keiner Bürgermeisterrede und keinem Bildband erwähnt sind. Rottweil hat

  • die höchste Dichte an ungenutzten Dachgauben nördlich von Bern
  • das möglicherweise trichterförmigste Gleisbett Süddeutschlands
  • die verschworenste und am Elitärsten sich gebärende Saunagemeinschaft der Welt
  • die höchste Zebrastreifendichte in einem Stadtzentrum nördlich von Gaborone
  • die zentraleuropäischsten Städtepartnerschaften im deutschsprachigen Raum
  • das größte Altstadt-vs.-mittelalterliche-Stadt-Verwirrpotenzial Deutschlands
  • die höchste Frequenz der Erwähnung der eigenen Superlative nach Zlatan Ibrahimovic

Eine Bekannte erzählte mir gestern, dass sie sich auch nach einem halben Jahrhundert in Rottweil noch als Neigschmeckte sieht und gesehen wird. Und ihr werdet am nächsten Marktsamstag darüber reden, wer das wohl war. Auch ich bin in den drei Monaten kein Rottweiler geworden. Ich wurde in den seltensten Fällen mit meinem Namen angesprochen, sondern stets nur mit „Ach, das ist doch der Stadtschreiber“. Also habe ich es gar nicht groß versucht, sondern viel mehr von außen auf die Stadt geschaut, ganz wörtlich: Ich war auf dem Oberhohenberg, bin um Dietingen gelaufen und bis nach Schwenningen, bin permanent im Neckartal und in der Au unterwegs gewesen. Ich habe das gemacht, was ich zu Hause auch mache, was vielleicht das größte Kompliment ist, das ich einer Stadt machen kann.

Ungefähr nach der Hälfte der Zeit hier hat meine Freundin Schluss gemacht. Rückblickend hätte ich Nathan der Weise also zu Ende schauen können. Die ersten vier Wochen, in denen ich fast durchgehend hier war, haben ihr klar gemacht, wie wenig sie es vermisst, nach Hause zu kommen zu jemandem, dem es lange Zeit des Jahres absolut nicht gut ging. Und der das leider zu oft an der Beziehung rausgelassen hat. Wie schwer es oft war, eine Verbindung zueinander zu finden, wenn ich nur am Wochenende daheim war. Dabei ging es mir zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr so schlecht. Denn die ersten vier Wochen, in denen ich fast durchgehend hier war, haben mir klar gemacht, wie wenig ich es vermisse, permanent unter Stress zu stehen, mir selbst unmenschlich viel Druck zu machen. Die Spaziergänge und die hier erlebte Wertschätzung für meine Kunst haben einiges in mir in Gang gebracht, das sich jahrelang nicht zeigen durfte. Ich war ein schlechter Stadtschreiber, vielleicht, aber ich war ein guter Stadtlerner. Ich habe in den letzten drei Monaten gelernt, was für ein Mensch ich sein möchte, was mir wirklich wichtig ist, wo ich künstlerisch hin möchte, ich habe mein schönes, verletztes Inneres erforscht, habe mir erlaubt zu fühlen, statt immer nur zu denken, ich habe mich in einen Zustand der bedingungslosen Liebe hineinmeditiert und meine Umwelt derart in positive Schwingung versetzt, dass mir das Konvikt einen unbefristeten Vertrag als Maskottchen angeboten hat.

Überhaupt das Konvikt. Als ich vor zwei Wochen für die letzte Phase nach Rottweil gekommen bin, nach drei Wochen Abwesenheit, in denen ich von einer Couch zur nächsten gezogen bin, versucht habe, meine Trauer zuzulassen, gleichzeitig meinen neuen, positiven Weg weiterzugehen, mir klar zu werden, wo es weitergehen soll, eine neue Wohnung zu finden, in denen ich Auftritte hatte, mit meiner einstigen Freundin gesprochen und geweint habe – als ich also vor zwei Wochen wiederkam, in mein Zimmer, dachte ich: Wie schön, dass es sich hier immer noch vertraut anfühlt.

Ich möchte niemanden aus dem Personal hervorheben, denn sie alle haben mir vom ersten Moment nichts als Zuneigung und Verständnis entgegengebracht und dafür danke ich ihnen.

Genauso wie allen anderen, denen ich die letzten drei Monate begegnet bin. Ob Yogalehrerin, Stadtführer, Kulturamtsmenschen, Kabarett-Rentner, Apothekerin, Schreibwerkstattheldinnen, Taxifahrer aus Balingen (long story) und so viele Zuhörende in den Wohnzimmern und im Schwarzen Lamm. Die Stadt war nett, die Menschen in der Stadt waren wundervoll.

Nicht zuletzt ein Dankeschön an alle Schülerinnen und Schüler im Konvikt, mit denen ich Essensraum, Bowlingbahn und teilweise das Bad geteilt habe. Alle, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, sind warme, liebevolle, unsichere, aber so wertvolle Menschen. Ich wünsche ihnen allen, dass sie das in ihrem Leben noch oft gesagt und gezeigt bekommen, vielleicht auch ab und zu von sich selbst.

Mein Vorgänger Thomas Perle hat im September gesagt, dass ich viel über mich lernen würde. Das stimmt. Er hat mir auch gesteckt, dass im Konvikt auf den Zimmern geheime Rap-Battles stattfinden. Ob das stimmt, fragt ihr mich jetzt?

Was hier im Konvikt passiert, das bleibt im Konvikt
Bruder, was hier abgeht, das ist heiß wie Pommes frittes,
doch das schreib ich nicht mit. „Ein Beweis wär schon schick!“
Also gut, dann wirst du jetzt auf eine Reise geschickt!

Oberhalb des Neckars und von Mauern geschützt
lebt eine Gemeinschaft, die Vertrauen benützt
„Das heißt benutzt“ Ist egal Mann, fiel mir grade nicht ein
An manchen Tagen fühlst du dich hier fahl und allein
Doch wir sind ne Familie wie beim Paten, kapiert?
Uns’re Trinkgewohnheit ha’m wir von Piraten kopiert
Sprich sehr wenig, nur am Wochenend‘ in Maßen das Bier
Wir ha’m uns das nicht ausgesucht, doch jetzt sind wir hier.

Von der Fünften bis zur Zwölften, aus B/W und der Schweiz
haben wir fast alle Lebensformen dabei
Und beherrschst du nicht alles, was ein Rausschmeißer kann
Leg dich lieber nicht mit uns’rem Hausmeister an

Die Wände sind so dünn, dass ich alles hier hör
und gleichzeitig zu dick für normales Wlan, ich schwör
Wenn du glaubst, der Router schafft das, ja dann kennsch ’n schlecht
Ich geh nach Genf, Digger, Internet ist Menschenrecht

Du find’st dein bürgerliches Leben tough?
Du fühlst dich fehl am Platz, wenn du dir Pläne machst
und es im Urlaub einfach wieder nicht nach Schweden schaffst
Aufsteh’n musst du meistens schon um zehn nach acht
Bitte verzeih mir, dass ich über deine Rede lach
Dass du nicht weißt, was hart ist, habe ich mir eh gedacht
Du bist Tagesschüler, ich verbring hier jede Nacht!
Heut bin ich jäh erwacht, dabei war es ein guter Traum
Ich war Besitzer eines Schlüssels zum Computerraum

Wenn du nachts rausmusst, machst du Licht, du bist nicht tight, Digger. Mann:
Wenn ich aufs Klo muss schaut mich aus dem Dunst ein Heiliger an
so eilig ich kann geh ich vorbei, will nicht stören
Du bist auch mutig? Ich kann dich nicht hören.
Du duschst bei Mutti. Ich dusche mit Sören!

Alter, wir leben in verschiedenen Welten
wie Delfine und Welpen
oder Diebe und Elfen
Deine Family isst auswärts, geht ins Restaurong
Ich steh im Speisesaal und warte auf den Essensgong
Und nachdem ich hier die Spannkraft meines Bauchs entdecke
Geht es erstmal ganz gediegen in die Raucherecke
Du hast Angst, dass ich mal an diesem Brauch verrecke
und nach Jauche schmecke?
Du hast Angst, dass sich irgendwann die Drogen rächen?
Du kannst gerne mal mit meinem Pädagogen sprechen

Du bist stylisch, weil du dir ein rosa Polo kaufst?
Internats-Style – ich trage Bordeaux, du Lauch

Also, so würde ich das machen … Aber ich war nie eingeladen …

Ich habe keinen lobpreisenden Text über Rottweil geschrieben. Vielleicht gerade weil ich hier einfach gelebt habe, aufgehört habe, alles analysieren zu wollen. Angefangen habe, loszulassen. Ich habe von Rottweil definitiv mehr bekommen als Rottweil von mir bekommen hat.

Ich kann euch also nicht mit einem Gedicht über die Hochbrücke nach Hause schicken oder einem Krimi, der in den nebligen Winkeln um die Kapellenkirche herum spielt. Doch über alles, was ihr in Zukunft von mir hört – „Er hat endlich nen Roman geschrieben“, „Hier der neue Film, den du so gut findest: Das Drehbuch ist von ihm“, „Hast du gehört, der Alex wurde mit nem Kilo Kokain an der kolumbianischen Grenze erwischt“ – über alles, was meine Zukunft bringt, könntet ihr sagen: „Ohne Rottweil wäre das nicht passiert.“ Und ihr hättet recht. Und vielleicht macht mich das doch zu einem würdigen Stadtschreiber.

Danke für die schöne Zeit.

Newsletter #3 – Wherever you go

Liebe Interessierte,

zunächst möchte ich die vielen Freiburgerinnen und Freiburger, die Menschen aus Wangen, Rottweil und Lindenberg in unserer Mitte begrüßen. Herzlich willkommen, schön, dass ihr mitlest!

Ich schreibe diese Mail von meinem Schreibtisch in Rottweil, wo ich seit Dienstag als Stadtschreiber tätig bin. „Was macht man als Stadtschreiber?“, wurde ich in den Interviews vorher und bei der Begrüßung gefragt, und meine Antwort ist: „Lernen.“ Und vielleicht ein bisschen was schreiben. Und mich mit dem Ort beschäftigen, an dem ich jetzt drei Monate lang mit kleinen Unterbrechungen leben werde.

Mit zwei anderen Orten habe ich mich das ganze Jahr schon beschäftigt: Mit dem übervollen München und ob meine Freundin Anja und ich dort bleiben können und wollen, und mit der neuen Wohnung in Esslingen, unter der Tag (Eisdiele) und Nacht (Guys-Spiele) Betrieb ist. Die Wohnung ist wunderschön, aber Fachwerk ist nicht für Menschen über 1,75m gemacht. Esslingen ist wunderschön, aber nicht für linksintellektuelle Literaten gemacht. Aus zehn Jahren München habe ich mich rausgerissen, nach sechs Monaten Esslingen bin ich nicht angekommen: Ich fühlte mich zuletzt sehr oft, als wäre ich am falschen Ort.
Dann hörte ich eine Folge des Mountain Goats-Podcasts, den ich das letzte Mal empfohlen habe, und John Darnielle, Joseph Fink und Amanda Palmer unterhielten sich über Orte. „A place is not good or bad, a place is who you were when you went there“, sagte Joseph Fink, und John Darnielle ergänzte: „There is no place that you can live that isn’t awesome if you are willing to invest yourself in it and find out what’s awesome.“ Der Gedanke, dass man sein Leben komplett reparieren kann, wenn man nur da und dort hinzieht, funktioniert nicht, „because wherever you go, there you are.“ Wenn ich nur München mit seinen aggressiven Autos, den vollen U-Bahnen und der Wiesn hinter mir ließe, würde alles gut werden, redete ich mir die letzten Jahre oft ein. Doch lärmende Fußgänger, ausfallende S-Bahnen und der Wasen sind auch nicht besser. Es liegt an mir und meiner Bereitschaft, dass ich mich schwer auf Orte einlassen konnte.

Letzte Woche waren wir in Esslingen erstmals (!) mit zwei Freund*innen in einer Bar. Ich könnte anführen, dass es nicht wahnsinnig viele entspannte Bars in Esslingen gibt, oder dass die drei Menschen, die wir hier kennen, selten Zeit haben, aber das wären Ausflüchte: Ich wollte es hier bisher oftmals nicht schön finden. Einen Tag später bin ich 30 Kilometer durch die Wälder und Streuobstwiesen spaziert und bei Göppingen wieder in den Zug zurück gestiegen. Ich war völlig fertig, aber glücklich über die Farben und Geräusche und Tiere. Den Muskelkater habe ich mir am nächsten Tag wegmassieren lassen, weil ich von meinem Freund Philipp Herold gelernt habe, dass wir achtgeben müssen, dass unser Körper das alles mitmacht: „Du bist 31 und reist das ganze Jahr in unbequemen Schalensitzen durch das Land und sitzt am Schreibtisch. Gönn dir regelmäßig eine Massage!“ München hat viele Bars und das Vereinsheim vermisse ich wirklich sehr. Man ist auch dort recht schnell im Grünen, und kann sich massieren lassen. Genauso wie in Freiburg oder Wangen oder Lindenberg. Diese Dinge sind nicht Kennzeichen eines bestimmten Ortes, sondern einer Haltung, eines Achtens darauf, was einem guttut und wie man seine Tage verbringen möchte.

An meinem zweiten Tag in Rottweil bin ich sechs Stunden spazieren gegangen, ein Besucher des Empfangs bot mir an, mir die Bars der Stadt zu zeigen, und nach einem weiteren Tag hatte mir eine Yogalehrerin einen Platz in ihrem Kurs angeboten. Es geht schnell, wenn man es zulässt. Natürlich ist es okay, dass ich meine Freundinnen und Freunde in München unheimlich vermisse. Natürlich fehlt mir mein Hund Ibsen, der in München bei fantastischen Menschen geblieben ist, sehr. Natürlich ist die künstlerische Grundatmosphäre in meinen Kreisen in München etwas, das mir gut tun würde. Aber so lange ich wo anders bin, kann ich genauso gut das, was mir wichtig ist, an diesen Orten suchen!


Tatsächliche Neuigkeiten im Neuigkeitenbrief:

– Meine geliebte Münchner Lesebühne „Die Stützen der Gesellschaft“ wird ab 2020 in der Lach- und Schießgesellschaft stattfinden, worauf ich mich sehr freue. Außerdem werden wir pro Jahr zwei Gastspiele in der Monacensia haben. Alles neu also, nur die Besetzung nicht: Frank Klötgen, Sven Kemmler, Fee und Katrin Freiburghaus. Und ich.

– Halbneu: Auf YouTube gibt es jetzt eine Playlist mit allen Liedern der ersten EP meiner Band „The Baby and the Dog“. Sogar mit den jeweiligen Lyrics. Und zwar hier: The Bookstore Is Closed. Weiterhin poste ich jede Woche ein Video eines Texts aus meinem neuen Buch, also abonniert den Kanal gerne, falls ihr ein YouTube-Konto habt.

– Diese Woche erschien das erwähnte neue Buch, „Was ich ihr nicht schreibe“. Es ist superschön geworden! Gerade die zweite Hälfte des Buchs mit vielen Texten in einem persönlichen nonfictional style gefällt mir supergut. Einen der neuen Texte könnt ihr euch hier direkt anschauen, für einen kleinen Eindruck.
Das Buch könnt ihr beim Satyr Verlag bestellen oder bei meiner Münchner Lieblingsbuchhandlung, die es auch gerne verschickt. Oder in jeder anderen Buchhandlung. Oder bei mir in einer Antwort auf diese Mail, dann schreib ich euch auch was rein!


Kunst, an der ich in den letzten Wochen Freude hatte:

– „Alte Sorten“ von Ewald Arenz (Dumont Verlag); eine 17-Jährige haut aus der Klinik ab und trifft auf eine 59-Jährige und ihren Hof in Mainfranken. Die Art, wie sich die Beziehung der beiden entwickelt, erinnert mich an meinen Lieblingsfilm Nothing Personal; hier geht es um Wein, Birnen, die Vergangenheit, körperliche Arbeit und Vertrauen. Arenz kommt mit sehr wenigen Figuren aus und hat einen der ersten Romane geschrieben, in dem das Thema psychische Krankheit zwar einmal erwähnt, aber nicht stigmatisiert wird. Es geht um die beiden Menschen, ganz wenig um irgendwelche Etiketten. Das macht das Buch sehr lesenswert und wertvoll, wie ich finde.

– „Scheize. Liebe. Sehnsucht“, eine Ausstellung von Ragnar Kjartansson, die noch bis Mitte Oktober im Kunstmuseum Stuttgart läuft. Ragnar ist ein isländischer Performance-Künstler, und seine Videoinstallationen und seine Musik sind so tiefgehend und schön, dass ich seit drei Wochen jeden Tag die Verse im Kopf habe. Beim Wandern um Esslingen habe ich gefühlte sechs Stunden immer wieder „There are stars exploding around you / and there’s nothing, nothing you can do“ gesungen. Ragnar setzt auf Wiederholung und ultralange Performances. Die Installation „The Visitors“, in der eine Gruppe Musiker*innen aus Reykjavík in unterschiedlichen Räumen einer riesigen Villa steht und gemeinsam ein Lied spielt, dauert über eine Stunde, und meine Freundin Anja und ich saßen in dem Raum und haben sie fast zwei Mal angeschaut, weil sie uns (vor allem mich, glaube ich) so in ihren Bann gezogen hat. Ich werde auf jeden Fall noch mal rein, weil wir nur eine der drei Etagen geschafft haben beim ersten Besuch. Es gibt noch eine 6-Stunden-Installation, in der er und die Band The National im MoMA immer wieder deren Lied „Sorrow“ spielen. 6 Stunden, das selbe Lied. Mal schauen, wie lange ich da drinsitzen werde. Aber Wiederholung ist unheimlich meditativ und befreit. Solltet ihr demnächst in Stuttgart sein oder Umstiegszeit haben oder einfach Bock auf Kunst haben, schaut euch die Ausstellung an! Für alle anderen gibt es hier einen okayen Mitschnitt von „The Visitors“ auf YouTube. „Once again I fall into my feminine ways …“

– Anja hat mir letztens einen Film gezeigt, den ich bis dato noch nie gesehen hatte. „Star Wars“. Keine Ahnung, ob euch das was sagt. Zukunftsdystopie mit ein paar Held*innen und komischen Weltraumwesen. Ganz witzig.


Bühnen, die ich in den nächsten Wochen bespielen darf:

– Am 27.09. ist Slam in Wiesloch. Ja.
– Am 14.10. lese ich in Lindenberg aus „Was ich ihr nicht schreibe“, und zwar in der Buchhandlung Netzer.
– Am 15.10. sind das nächste Mal Die Stützen der Gesellschaft mit meiner Beteiligung, und eine der letzten Shows im Fraunhofer Theater. Karten gibt es beim Fraunhofer Theater oder an der Abendkasse, ebendort.
– Am 18. (abends) und 19.10. (vormittags) bin ich in diversen Auftritten bei der Frankfurter Buchmesse vertreten, außerdem hänge ich am Satyr-Stand rum. Besucht mich 🙂
– Am 19. und 20.10. schließlich die letzten beiden Ausgaben meines Kabarett-Programms „Man kennt das ja“, in Norden und St. Ingbert. Falls ihr eine kleine Reise machen wollt. Oder jemanden kennt, der oder die dort lebt.
– Am 24.10. lese ich im Schwarzen Lamm in Rottweil aus „Was ich ihr nicht schreibe“.


Special Treat des Monats:

(nur verfügbar für Menschen, die den Newsletter abonniert haben)

Wie immer freue ich mich über Antworten, Anregungen, Geldspenden und Liebe. Ich wünsche euch einen schönen Beginn des Herbsts, viele Pilze und eine ausgeglichene Zeit. Und vergesst nicht: Wherever you go, there you are.

Bis zum nächsten Mal,
Alex

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